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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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«Bronislaw» oder «Pjotr», das kannte sie, aber «Kajetan»? Nein.
    Wo blieb denn nur Lydia? Sie konnte nicht mehr warten. Also musste sie selbst handeln, auch wenn ihr der Gedanke den Atem verschlug. Sie hatte Angst. Angst, dass mit dem Brief ein großes Unglück in ihr Haus käme. Und wenn es so sein sollte, dann wollte sie wenigstens nicht allein sein. Aber Lydia kam nicht.
    Paula fasste das Messer und schlitzte den Umschlag auf. Vier Seiten, eng beschrieben. Sie hastete mit ihrem Blick von Zeile zu Zeile, ohne den Sinn der Sätze richtig zu verstehen. Das konnte man später nachholen. Vorerst ging es nur um eins:
     
«5./8.1941
Werthe Familie Lochthofen!
In Erfüllung eines gegebenen Versprechens, von Ihrem Sohn Lorenz Lochthofen anlässlich meiner Abreise von der russischen Gefangenschaft als politischer Sträfling und Flucht in mein Heimatland, fühle ich mich verpflichtet Ihnen über das Schicksal Ihres Sohnes sowie Seiner Frau Lotte geb. Reis und deren Tochter Nachricht zu geben.
Ihr Sohn Lorenz wurde im Jahre 1938 in der Stadt Engels in der Wolgadeutschen Republik wegen angeblich politischen vergehens verhaftet und auf 5 Jahre Straflager verurteilt ist im Sommer 1938 nach Workuta Lagerpunkt Usa gekommen wo selbst er sich seit dieser Zeit befindet und unter schweren Arbeitsbedingungen in der Werkstätte der Eisenbahn Workuta-Usa arbeitet …»
 
Er arbeitet. Also lebt er. Paulas Herz raste und schlug ihr bis zum Hals. Lorenz lebt.
 
«Seine Frau Lotte Lochthofen wurde auf 5 Jahre Lagerarbeit in das Lager Karaganda in Mittelasien verschickt weitere Nachrichten über Ihren dortigen Aufenthalt fehlen, das Töchterchen ist im Gefängnis in Engels gestorben …
Also im Auftrage Ihres Sohnes bitte ich Sie alles zu tun was möglich ist und nach Möglichkeit zu helfen. Ich habe Ihren Sohn das letzte Mal am 28.   4.   41 gesprochen und gesehen er war damals soeben von einer längeren schweren Herzkrankheit an welcher er seit 2 Jahren leidet und die sich besonders verschlechtert hatte 3 Monate krank lag, die erste Woche wieder arbeitete, er bat mich falls, mir die Flucht aus dem Sowjetlande gelingen soll, Euch über sein Schicksal zu verständigen sowie auch zu bitten das Ihr alles unternehmen möget was notwendig ist um Ihn zu retten. Dieser meiner Aufgabe entledige ich mich nun mit dieser Mitteilung und des Wunsches Ihres Sohnes. Gleichzeitig bestelle ich im Namen Ihres Sohnes die herzlichsten Grüsse und stehe Ihnen falls notwendig jederzeit zu Verfügung
Kajetan Klug»
     
    Lager. Zwangsarbeit. Workuta. Larissa tot.
    Worte wie Nadelstiche. Reglos saß sie in der dämmrigen Stube. Sie konnte vieles von dem, was sie da gelesen hatte, nicht verstehen. Paula legte den Brief auf den Tisch. Draußen im Flur hörte sie, wie die Tür geöffnet und leise geschlossen wurde. Endlich war Lydia nach Hause gekommen.
    «Er lebt!», schrie ihr Paula zu. «Er lebt!», wie ein junges Mädchen sprang sie auf, die Tochter zu umarmen.

Das Jahr 1942:

    Kleines Foto: Pawel Alexandrowitsch Alförow bei seiner Verhaftung durch den NKWD 1936 in Stalino. Größeres Foto: Pawel Alförow 1956 in Workuta.

Gründung der Vereinten Nationen in Washington durch 26 Staaten. Auf der Wannsee-Konferenz wird die Vernichtung der Juden als «Endlösung» detailliert geplant. Stefan Zweig begeht im brasilianischen Exil Suizid. Anna Seghers Roman «Das siebente Kreuz» erscheint. Der SS-Reichsführer Heinrich Himmler genehmigt den Generalplan Ost, der eine zwangsweise Umsiedlung der slawischen Bevölkerung Osteuropas nach Sibirien vorsieht. Die Rote Armee beginnt die kriegsentscheidende Gegenoffensive in Stalingrad. Nobelpreise werden kriegsbedingt nicht vergeben. Erste Energiegewinnung durch Kernspaltung in den USA.

1942
    «Wer nicht aufsteht, wird erschossen!»
    Die Worte des Lagerkommandanten klangen wie das Bellen eines tollen Hundes. Laut. Geifernd.
    Dennoch, es rührte sich keiner. Die Häftlinge blieben auf den Pritschen liegen. Entschlossen, das Unvermeidliche zu tragen.
    Kein Widerwort.
    Kein Stöhnen.
    Nichts.
    «Uch, diese Hurensöhne …», es folgte eine weitere Tirade Drohungen und gemeiner Flüche. Dann knallte die Barackentür. In der Stille hörte man die Stiefel durch den Schnee knirschen. Die Häftlinge blickten stumm auf den leeren Platz am Ofen, wo gerade noch der Kommandant gestanden hatte. Nur ein Wunder konnte sie noch retten. Lorenz glaubte nicht an Wunder.
    Wie zu erwarten, blieb die Arbeit im Wald nur eine

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