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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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Buchweizen. Was will der Mensch mehr?»
    Ein fröhliches Murmeln erfasste die Wartenden. Lorenz atmete tief durch. Wie lange der Segen anhalten würde, konnte er nicht wissen. Aber sein Einsatz hatte sich gelohnt. Sie hatten dem Tod ein paar Tage abgerungen.

III
    Paula saß auf einem Stuhl nah beim Fenster, die knochigen Hände fest auf die Knie gepresst. Vor ihr auf dem Küchentisch, mitten auf der vom vielen Abwischen farblos geriebenen Wachstuchdecke, lag ein Briefumschlag. Sie starrte ihn an und suchte die Kraft, ihn endlich zu öffnen. Ihr kleines Kartoffelmesser lag daneben, aber sie rührte es nicht an. Gerade jetzt war Lydia nicht im Haus. Wo doch die Tochter in solchen Momenten immer genau das Richtige tat.
    Es war der Brief.
    Paula wusste es sofort. Als der Postbote kam und ihn ihr persönlich in die Hand drückte, da spürte sie, dass es nur der Brief sein konnte. Etwas in ihr fiel tief runter und versetzte sie in eine Unruhe, so wie damals, als ihr Mann noch täglich in den Schacht einfuhr. Sie hatte Angst um ihn, und es wurde auch mit den Jahren nicht besser; jede Stunde wartete sie, dass er heil nach Hause käme, erst dann zog Ruhe in ihr Herz. Bis zum nächsten Morgen. Denn sie wusste es immer, eines Tages würde es geschehen. Aber der Mann überlebte alles, was unter Tage passierte, Schlagwetter, Explosionen. Die Staublunge nicht.
    Das war nun schon über zehn Jahre her. Und fast genauso lange war ihr Sohn Lorenz aus dem Haus. Der Mann auf dem Friedhof, der Sohn seit Jahren verschollen.
    Nun dieser Brief.
    Sie schaute den Umschlag an, er war beschriftet mit den unterschiedlichsten Tinten und Stiften. Die rote Hindenburg-12-Pfennig-Briefmarke klebte ordentlich in der Ecke rechts oben. Darauf ein Stempel von Freudenstadt und das Datum 6.   8.   41.
    Freudenstadt? Da kannte sie niemand. Nein, ganz bestimmt nicht. Überhaupt, in den letzten Jahren kam kaum noch Post ins Haus, kein Brief, keine Karte. Früher, ja, da war das etwas ganz anderes, da konnte sie den Nachbarinnen vorlesen, was ihr Sohn berichtete, der jetzt an der Universität studierte. Lorenz schrieb ausführlich, ganze Romane, über das Leben in Moskau, von den Prüfungen und seinem erfolgreichen Abschluss. Das Bild der schönen Tatarin klemmte noch am Küchenschrank. Auch wenn aus den beiden nichts wurde. Sie wusste, dass er umgezogen war, nach Engels an der Wolga, jetzt eine deutsche Frau und eine kleine Tochter hatte. Larissa, ein schöner Name. Gern hätte sie das Kindchen einmal in die Arme genommen, doch so musste sie sich mit dem Foto begnügen. Immerhin, sie besaß einige Bilder, auch von ihrem Lorenz, auf den sie so stolz war.
    Seit einigen Jahren war es jedoch still. Sie wusste weder, was mit ihm geschehen war, noch, wo er steckte. Ob er überhaupt noch lebte. Selbst August, ihr Schwiegersohn, schickte aus dem KZ im Emsland hin und wieder eine Karte. In den dürren Zeilen stand nichts von den Schrecken des Moorlagers, aber sie und ihre Lydia, ihre Älteste, wussten so wenigstens, dass er lebte.
    Von Lorenz kam keine Nachricht. Nichts.
    Wenn doch nur Lydia endlich nach Hause käme. Wo blieb sie nur so lange? Die kleine, hagere Frau mit dem energischen Gesicht, das die Spuren harter Jahre trug und durch den Haarknoten am Hinterkopf noch strenger wurde, schaute immer noch gebannt auf den Umschlag. «An Frau Paula Lochthofen» stand da. Das war sie. Eine andere Paula Lochthofen gab es nicht. Auch wenn der Absender fast in jedem Wort einen Fehler gemacht hatte, so dass es ein Wunder war, dass der Brief sie erreicht hatte, den Namen kannte er offenbar genau.
    «Wenn Adressat gestorben oder abgereist bitte an andere Familienmitglieder ausfolgen» war mit kleiner Schrift in die linke Ecke gekritzelt. «Ausfolgen», wer sagte denn so etwas? Paula überlegte, ob sie jemanden kannte, der so sprach. Sollte das in Freudenstadt tatsächlich so viel anders sein als bei ihnen? Aber halt, da stand ja noch etwas, quer mit roter Tinte auf die linke Seite des Briefumschlags geschrieben: «Abs. Kajetan Klug Linz (Donau) Fabrikstr. 12».
    Kannten sie jemanden in Linz, und wenn ja, was hatten sie mit dem zu tun? Lydia konnte das als Einzige wissen, ihr fiel niemand ein. «Kajetan», den Namen hatte sie noch nie gehört. War es überhaupt ein deutscher Name? Unter den Bergleuten in der Siedlung hieß niemand «Kajetan». Nicht einmal die, deren Väter aus Polen kamen. Auch bei den Grabowskis nebenan hatten sie keinen «Kajetan» in der Familie.

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