Schwarzes Fieber
ganz allmählich trüb, wich ab, begann umherzuirren. Fahlenberg atmete tief ein, sah hinaus, schüttelte schließlich den Kopf, als wäre dieser mit einem Mal ungeheuer schwer geworden.
»Deshalb also«, sagte er schließlich. »Ich hatte mich schon gewundert.«
Zu meiner Überraschung machte er keinen Versuch zu leugnen. Im Grunde hatte er schon jetzt gestanden. So holte ich gleich zum zweiten Schlag aus.
»Wir gehen davon aus, dass Rafael Nunda im Auftrag einer Person in Heidelberg war, die Sie wegen dieser Sache zur Rede stellen wollte. Diese Person, übrigens eine Frau, ist offenbar der Überzeugung, dass Ihre – vorsichtig formuliert – merkwürdigen Geschäfte ihren Bruder das Leben kosteten. Er starb letztes Jahr. An Aids. In Angola.«
Täuschte ich mich, oder war er blasser als zu Beginn? Ich durfte ihm keine Zeit zum Nachdenken lassen, deshalb fuhr ich fort: »Rafael Nunda bildete sozusagen die Vorhut dieser Frau. Er kam – so meine Theorie – nach Heidelberg mit dem Auftrag, Sie zu finden. Offensichtlich gelang es ihm innerhalb weniger Tage, Ihre Adresse zu ermitteln. Und dann, während er auf das Eintreffen seiner Auftraggeberin wartete, kam er vermutlich auf die Idee, ein wenig zusätzlicher Profit aus seinem Wissen zu schlagen, indem er Sie erpresste.«
Fahlenberg schwieg immer noch.
»Und aus diesem Grund ist der Verdacht leider nicht von der Hand zu weisen, Ihr Angestellter habe Nunda zumindest mit Ihrem Wissen getötet. Wenn nicht sogar mit Ihrer Billigung, Herr Doktor Fahlenberg.«
»Jetzt gehen Sie entschieden zu weit«, versetzte er brüsk, erhob sich und ging mit kleinen, unsicheren Schritten wieder zur Fensterfront, zur selben Stelle, wo er vor einigen Minuten schon gestanden hatte. Seine Silhouette hatte sich verändert. Der Rücken war jetzt gebeugt, die Schultern hingen herab. Jeder Stolz war aus dem alten Mann gewichen. Als er endlich sprach, wandte er sich nicht um. Er sprach zum Meer, aber er meinte mich.
»Von Nunda weiß ich nichts, bitte glauben Sie mir das. Das andere … Vielleicht darf ich versuchen, es mit einem Gleichnis zu erklären. Verzeihen Sie das altmodische Wort, aber mir fällt auf die Schnelle kein moderneres ein.«
Am Horizont waren jetzt drei Schiffe zu sehen. Zwei nach Süden, in Richtung Afrika, eines nach Norden.
»Stellen Sie sich vor, Sie kommen in einer weltabgeschiedenen Gegend in ein Dorf. Alle Bewohner leiden an einer tödlichen Krankheit. Stellen Sie sich weiter vor, Sie verfügen über ein wunderbares Medikament, das diese Krankheit heilen kann. Das Dorf hat hundert Einwohner, aber Sie haben nur fünfzig Tabletten.«
In dieser Sekunde erinnerte ich mich an die Worte Machatschecks, des Journalisten: »Am Ende wird er versuchen, Ihnen einzureden, er hätte eine gute Tat getan.« Und plötzlich ärgerte ich mich, seinen Tipp nicht befolgt, kein Tonband bei mir zu haben.
Fahlenberg wandte sich nun doch um und sah mich fast vorwurfsvoll an.
»Würden Sie den Menschen die Tabletten vorenthalten?«
»Natürlich nicht«, erwiderte ich grob. »Wenn ich nur einige retten könnte, dann würde ich eben diese retten. Vielleicht würde ich die Entscheidung darüber, wer Tabletten bekommt, dem Dorfältesten überlassen. Aber Ihre Geschichte ist doch völlig konstruiert. Und was hat sie mit den Blutkonserven zu tun?«
»Wir sind ja noch nicht am Ende.« Er senkte den Blick. »Nehmen wir nun an, Sie wissen, dass einige der Tabletten verdorben sind. Sagen wir, die Hälfte. Indem Sie also einen Teil der Kranken retten, töten Sie andere. Die ohnehin gestorben wären. Was nun?«
»Ich bitte Sie, das sind doch vollkommen hypothetische Fragen!«
»Was nun?«
»Herrgott …«
»Den brauchen wir nicht für unser kleines Gedankenspiel.«
Nun wurde ich wirklich wütend. »Ich finde nicht, dass man mit Menschenleben derartige Berechnungen anstellen darf.«
»Sie würden also alle sterben lassen?«
»Natürlich nicht.«
Wenigstens entdeckte ich keinen Triumph in seiner Miene. Eher Trauer. Hilflosigkeit. Bitte um Verständnis und Vergebung. Sollte dieser Mann sich wirklich zwei Jahrzehnte lang eingeredet haben, er hätte zahllosen Menschen einen Gefallen getan, indem er sie mit Aids infizierte?
»Sehen Sie es doch bitte einmal von dieser Seite«, fuhr er mit ruhiger Stimme fort. »So gut wie jeder, der eine der Blutkonserven bekommen hat, wäre ohne sie gestorben.« Seine Stimme war jetzt so leise, dass ich mich sehr konzentrieren musste, um ihn zu verstehen.
Weitere Kostenlose Bücher