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Schwarzes Fieber

Schwarzes Fieber

Titel: Schwarzes Fieber
Autoren: Wolfgang Burger
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so ein richtiger Doppelspind, würde mein Mann sagen, wie ein Preisboxer hat der ausgesehen. Man soll die Leute ja nicht nach ihrem Äußeren beurteilen, aber besonders clever ist der bestimmt nicht. Wie blöd der geglotzt hat, als ich wissen wollte, was er da macht!«
    »Was hat er denn geantwortet?«
    »Erst mal nichts. Der war ja total platt, als ich auf einmal vor ihm gestanden hab. Und dann hat er irgendwas gestottert von wegen er sucht das Klo. Das Klo?, hab ich gefragt, denn das war ja nun wirklich die dämlichste Ausrede, die man je gehört hat. Und dann ist er auf einmal wie der Teufel an mir vorbei, hat mich fast umgerannt, und dann war er weg.«
    Immer noch aufgeregt knetete sie die schlanken Hände. Ihr Nagellack war kirschrot.
    »Gesicht, Haare, Bart? Besonderheiten an seiner Kleidung?«
    »Einen Anzug hat er angehabt, einen dunklen. Und eine Krawatte. Hat irgendwie gar nicht so recht zu seiner Visage gepasst. Bart? Nein. Die Haare waren ganz kurz geschnitten, über die Farbe kann ich eigentlich nichts sagen. Vielleicht blond, vielleicht auch grau. Möglich, dass er auch gar nicht mehr so viele Haare auf dem Kopf gehabt hat. Das ist ja alles so verflixt schnell gegangen, und man denkt sich ja erst mal nichts in so einer Situation.«
    Eine Schwester in blassgrüner Arbeitskleidung streckte den Kopf herein, lächelte uns verwirrt an und verschwand wieder. Im Hintergrund dudelte ein Radio so leise, dass ich es erst jetzt bemerkte. Dire Straits, »Brothers in Arms«. Auf der Tischdecke eine Menge dunkler Ringe, Spuren von Kaffeebechern. Ich widerstand der Versuchung, sie abzukratzen.
    »Wie alt war er?«
    Ratlos zuckte sie die Achseln und sah an mir vorbei. »Schwer zu sagen. Zwischen Anfang vierzig und Mitte fünfzig vielleicht. Genauer kann ich es wirklich nicht sagen.«
    »Wie hat er gesprochen?«
    »Ziemlich leise, das ist mir aufgefallen. Aber ich glaub, es war ihm einfach nur superpeinlich, dass ich ihn erwischt hab. Richtig ins Schwitzen ist der gekommen vor lauter Verlegenheit.«
    »Hochdeutsch? Dialekt?«
    »Hm.« Jetzt sah sie auf ihre Schuhe. Rutschte auf ihrem Stuhl herum. »Er hat versucht, Hochdeutsch zu reden. Hat aber nicht besonders gut geklappt. Der ist eindeutig von hier. Heidelberger Urgestein vom rechten Neckarufer. Und maximal Hauptschule, wenn Sie mich fragen.«
    »Und dann trägt er einen dunklen Anzug?«
    »Vielleicht wollte er auf ’ne Beerdigung?«
    »Morgens, vor dem Frühstück?«
    Mit einem erschrockenen Blick auf die Uhr sprang sie auf. »Ich müsste jetzt aber wirklich. Mein Mann und die Kinder warten schon seit einer Stunde auf mich. Wir wollen nämlich ins Freibad. Und mehr kann ich Ihnen sowieso nicht sagen.«
    Den Grund für die Aufregung, unsere stumme Unbekannte, sah ich heute nur kurz. Sie lag in ihrem Bett, die Decke wieder wie zum Schutz bis ans Kinn gezogen, und blickte mich mit großen Augen fragend an. So, als würde sie überlegen, wo und wann sie mich schon einmal gesehen hatte.
    Ich lächelte sie beruhigend an. »Wie geht es Ihnen heute?«
    Etwas wie ein scheues Lächeln huschte über ihr Gesicht. Hatte sie die Frage verstanden? Plötzlich wandte sie sich ab und schloss die Augen.
    Im Erdgeschoss traf ich auf eine groß gewachsene, heftig schwitzende und leicht nach Essig riechende Putzfrau. Ihr kantiger Akzent ließ mich vermuten, dass sie aus Kasachstan oder Russland stammte. Mit vor Anstrengung verzerrtem Gesicht meinte sie nach heftigem Nachdenken, sich eventuell an einen großen Mann in dunklem Anzug zu erinnern.
    »Aber hier ja immer sooo viel Betrieb! Ständig laufen Leut herum! Wie soll man denn da saubermachen, frag ich Sie bitteschön, wenn hier ständig Leut rumrennen und alles gleich wieder machen schmutzig? Aber ja, den Mann mit dem Anzug, den hab ich gesehen. Er ist mit diese Fahrstuhl gefahren.« Sie deutete auf eine der beiden Stahltüren, die sich alle Augenblicke öffneten und schlossen.
    Ich erfuhr, dass es nicht weiter schwer war, unbemerkt ins Gebäude zu gelangen. Der Haupteingang war auch am frühen Morgen offen, und es gab noch weitere Zugänge im Keller.
    Wie bestellt gesellte sich Balke zu uns. »Die Überwachungskamera ist kaputt«, sagte er und wies zur Decke. »Wäre ja auch zu schön gewesen. Aber ich habe im Keller zwei Zeuginnen aufgetrieben, die ihn gesehen haben.« Er drückte einen Knopf am Fahrstuhl.
    Während wir auf den Lift warteten, erfuhr ich, dass auch morgens um sechs im Untergeschoss schon reger Betrieb herrschte.
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