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Schwarzes Fieber

Schwarzes Fieber

Titel: Schwarzes Fieber
Autoren: Wolfgang Burger
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Sammlung befand, aber der Titel wollte mir nicht einfallen.
    Ich war auf meinem Heimweg von Lorenzo nicht ganz zufällig hier vorbeigekommen. Wir hatten wieder einen unserer Schachabende auf seiner Terrasse verbracht, und heute hatte ich ihn zum ersten Mal geschlagen. Mit einem Spielzug, der im Internet als »Saragossa-Eröffnung« bezeichnet wurde, hatte ich ihn mächtig in die Bredouille gebracht und am Ende tatsächlich matt gesetzt. Das musste ich unbedingt ausbauen. Lorenzo verabscheute das Internet nun noch mehr als zuvor.
    Der Durbacher war nicht so gut wie die Weine aus seinem Keller, aber wirklich nicht zu verachten. Nicht weit von meinem Glas stand eine große, handbemalte Terrakottaschale voll mit den kleinen, hübsch bedruckten Streichholzschachteln, wie wir sie in den Taschen unseres Toten gefunden hatten. Ich nahm eine davon in die Hand. Das Bild, eine halb abstrakte, seltsam verrenkte Tänzerin, sah ungefähr so aus, wie ich mir ein Werk von Toulouse-Lautrec vorstellte, das er im Alkoholdelirium verbrochen hatte.
    »Selber gemalt!« Susi stand plötzlich wieder vor mir. »Viel Talent habe ich nicht, okay. Aber für Streichholzschachteln reicht’s doch, finden Sie nicht?«
    Ihr Gesicht wurde von üppigen dunklen Locken umrahmt. Ein wenig ähnelte sie Cher. Sie verstrahlte kein Verkäuferinnenlächeln, das nach Trinkgeld schielt. Susi mochte ihren Job und die Menschen, mit denen sie zu tun hatte. Ich gab ihr recht, was ihr Maltalent betraf.
    »Zum ersten Mal hier, stimmt’s?«, wollte sie wissen.
    Als sie hörte, wer ich war, gefror ihr Lächeln. Aber sie begriff rasch, dass ich hier keine Razzia plante, und die Wölkchen in ihrem Blick verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.
    »Ein Schwarzer, sagen Sie?«
    Ich beschrieb ihr unser Mordopfer. »Wir vermuten, dass er hier Gast war.«
    Ihre Augen wurden schmal. »Stimmt, da war mal einer.«
    Neue Gäste kamen, ein älteres Paar, aber sie nickte ihnen nur zerstreut zu.
    »Anfang Juli«, sagte sie leise und sah durch mich hindurch. »Da ist er ein paarmal hier gewesen. Da hinten hat er immer gesessen.« Mit einer schnellen Bewegung wies sie nach rechts. »Da, am letzten Tisch, direkt neben der Klotür.«
    »Wie oft?«
    »Eine Weile jeden Abend. So gegen zehn ist er immer aufgetaucht, wenn noch kaum jemand hier war, hat was getrunken und ist wieder gegangen. Ich vermute, ins Bett.«
    »Haben Sie mit ihm gesprochen?«
    »Ich hab’s versucht. Aber er war nicht besonders gesprächig.«
    An Susis rechter Hand prangte ein Ring mit einer riesigen, vielleicht ebenfalls selbst bemalten Emailscheibe. Sie hatte dunkle, im dezenten Licht fast schwarze Augen und ein paar Sommersprossen auf der Nase. Für eine Barfrau völlig untypisch, trug sie ein hochgeschlossenes, anthrazitgraues Kleid.
    »Und jetzt ist er tot?« Sie sah mich empört an.
    »Was hat er getrunken?«
    »Bier. Die meisten Ausländer verlangen German Beer.«
    »Er hat also Englisch gesprochen?«
    »Nein, Deutsch.« Gedankenverloren strich sie ihr Haar zurück. »Aber mit einem komischen Akzent.«
    »Ein Amerikaner vielleicht?«
    »Bestimmt nicht.« Susi schüttelte den Kopf, wodurch ihr die eben gebändigten Locken gleich wieder ins Gesicht fielen. »Franzose auch nicht. Sein Akzent war anders. Härter, irgendwie.«
    »Hat er sich mit anderen Gästen unterhalten?«
    »Nein. Der wollte für sich sein. Und er war neu in der Stadt. Einmal hab ich gesehen, wie er den Stadtplan studiert hat. Aber nicht so wie ein Touri, der zum Schloss will. Eher wie einer, der eine Wohnung sucht. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, er wohnt in der Nähe. Der hat hier sein Schlummerbier getrunken, und wenn’s draußen richtig dunkel wurde, ist er verschwunden. Ist wohl zeitig schlafen gegangen.«
    »Wie oft war er hier?«
    Mit krauser Stirn blickte sie zur Decke. Über dem rechten Auge hatte sie eine alte Narbe von der Form einer kleinen Mondsichel.
    »Knapp zwei Wochen, würde ich sagen. Bis Mitte Juli ungefähr. Danach ist er meines Wissens nicht mehr gekommen.« Plötzlich sah sie mich erschrocken an. »Sie suchen doch jetzt hier nicht seinen Mörder, oder?«
    »Aber nein.« Ich musste lachen. »Obwohl man natürlich nichts ausschließen kann. Heute wollte ich mich nur mit Ihnen unterhalten und ein bisschen Atmosphäre schnuppern.«
    »Atmosphäre?« Das interessierte sie. »Wieso …?«
    »Manchmal hilft es, sich in die Situation des Opfers oder des Täters zu versetzen. Die Orte zu sehen, wo sie sich
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