Schwarzes Fieber
behauptete sie, sie verzehre sich nach mir. Das kam mir merkwürdig vor. Lag es an der ganzen Aufregung, dass ich nicht das Gleiche empfand? Oder an dem ungewohnten Klima? Natürlich mochte ich sie, natürlich freute ich mich auf sie. Oder hatte mich zumindest vor Kurzem noch gefreut … Aber jetzt war da plötzlich diese seltsame Leere. Vermutlich war ich einfach zu schlapp, um mich freuen zu können. Und dann natürlich die viele Arbeit, der Stress der letzten Tage. So schrieb ich irgendwas zurück, von dem ich hoffte, dass es nach Begeisterung und Vorfreude klang, und wünschte meinem Chef gute Besserung.
Meine Leute würden erst in zehn Minuten zur Morgenbesprechung erscheinen. Sönnchen war unterwegs. So blieb mir noch genug Zeit, einen Artikel zu lesen, den ich heute Morgen in der Zeitung entdeckt und ausgeschnitten hatte. Es ging um Angola, das vergessene Land, über das offenbar nicht nur ich kaum etwas wusste.
Das Durchschnittsalter der Bevölkerung betrug derzeit achtzehn Jahre. Zwei Drittel davon besuchten weniger als fünf Jahre lang eine Schule. Vierzig Prozent konnten weder lesen noch schreiben. Zehntausende warteten auf eine Prothese, weil ihnen eine Mine die Beine zerrissen hatte.
Dann klingelte mein Telefon.
»Watson hier«, ertönte eine wohlbekannte Stimme. »Ihr Assistent im wilden Süden.«
Ich zerknüllte Sönnchens Zettel, auf dem die Telefonnummer stand, warf ihn in hohem Bogen in den Papierkorb und traf sogar. Nundas Großmutter mütterlicherseits stammte aus Hamburg, berichtete Hecker, und hatte vor fünfzig Jahren in einer Hafenbar in Benguela als Hure gearbeitet. Obwohl er sich Mühe gab, gute Laune zu verbreiten, wirkte er müde.
»Bis zur Befreiung – in Anführungszeichen – hat es da unten eine Art deutsche Kolonie gegeben. Und Marika Duncker muss so was wie eine lokale Berühmtheit gewesen sein. Aber dann hat sie sich von einem Schwarzen ein Kind machen lassen, musste den Job aufgeben und ist verschwunden.«
»Dieses Kind war dann folgerichtig Nundas Mutter?«
»Right, Mr Holmes. Das Mädchen – Marilyn Duncker – ist bei Missionaren in Huambo aufgewachsen, und vielleicht schließt sich schon hier der Kreis. Mit fünfzehn ist sie durchgebrannt, und zwei oder drei Jahre später hat sie selbst ein Kind gekriegt. Einen Sohn.«
»Namens Rafael.«
»Vermutlich.«
»Woher wissen Sie das alles, wenn es doch so gut wie keine schriftlichen Aufzeichnungen gibt?«
»Schwarzafrika hat zweitausend eigenständige Sprachen hervorgebracht, aber niemals eine Schrift, wussten Sie das? Hier lebt alles von der mündlichen Überlieferung, vom Geschichtenerzählen über Jahrhunderte. So entsteht mit der Zeit ein gigantisches Informationsnetz, das erstaunlich stabil funktioniert. Man muss nur die richtigen Leute fragen.«
»Was wurde später aus Nunda?«
»Als der Bürgerkrieg begann, war er sechzehn. Und von da an wird’s schwierig. Die sozialen Bindungen zerrissen und damit auch das Geschichtennetz. Bisher weiß ich nur, was Sie auch schon wissen: Er hat sich als Waffenschieber und Nachrichtenhändler durchgeschlagen. Irgendwann muss er zwischen die Fronten geraten sein, daher vermutlich seine alten Verletzungen. Anfang der Neunziger taucht er dann plötzlich in Namibia auf. Dort soll er in Windhuk als Taxifahrer gearbeitet haben. Und seit zwei oder drei Jahren war er wieder in Angola.«
»Dann hat er seine Deutschkenntnisse von der Großmutter?«
»In Windhuk wird er noch einiges dazugelernt haben. Dort wird immer noch viel Deutsch gesprochen.«
»Und Frau de Santos? Haben Sie über die inzwischen etwas in Erfahrung bringen können?«
»Leider nein. Aber das muss nichts bedeuten. Man muss immer den ersten Zipfel eines solchen Wissensnetzes erwischen, dann kommt eins zum anderen. Wenn ich erst mal weiß, in welchem Viertel sie gewohnt hat …«
»Ich habe hier eine Telefonnummer in Huambo, die Nunda zweimal angerufen hat.«
Während ich ihm die Nummer diktierte, die mit vier Neunen endete, kam mir ein Gedanke.
»Mal eine ganz andere Frage: Nunda hatte Federn in der Hosentasche.«
»Federn?«, fragte Hecker verdutzt. »Was denn für welche?«
»Unser Labor meint, von einem Hahn.«
»Dann war es ein Zauber.«
»Ein was?«
»Hahnenfedern helfen praktisch gegen alles, wenn der richtige Schamane sie berührt hat. Gegen Krankheit und Blitzschlag, gegen Schlangenbiss und den bösen Blick. Tausende haben sich während des Krieges mit ein paar Federn in der Tasche ins gegnerische
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