Schwarzes Gold Roman
war. Der Grund: Er hatte sich verraten. Ich
werde meinen Job verlieren, hatte er gesagt. Das Theater war aufgeflogen. Sein
Vater war kein Mann, der alles verloren hatte. Er war ein Mann, der Angst
hatte, zu viel zu verlieren.
Anders wandte ihm den Rücken zu und schaute aus dem Fenster
auf die Fichten im Winterkleid. Die Sonne hatte auf die Wolkendecke im Westen
ein dramatisch rotes, nahezu violettes Bild gemalt. Er fühlte sich leer. Er
wollte weg von dieser Übelkeit erregenden Theaterbühne. Das Thermometer vor
dem Fenster war über Null gestiegen. Er sagte: »Ich glaube, es gibt
Regen.«
Er hatte seinen Vater gerade ins Bett verfrachtet, als ein
Taxi in der Einfahrt hielt. Zwei junge Männer, beide mit Brille und offenen,
grauen und knielangen Mänteln, kamen auf das Haus zu. Anders sah ihnen durchs
Küchenfenster entgegen, und erst, als der eine die Treppe zum Eingang erklomm,
erkannte er Per Ole. Ein Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt. Die Tür zum
Entree öffnete sich. Per Ole hielt dem anderen die Tür auf, Anders kannte ihn
nicht. »Jim, das ist mein kleiner Bruder Anders – bei der Musterung hat er
es zu den Feldjägern geschafft, aber er will verweigern.«
Anders gab Jim die Hand. »Kindergartenonkel? Windelwechsler
in Jeans und Islandpulli?« Jim rollte das R hart im Hals, wie man es in
Stavanger tat.
Einige Sekunden der Stille herrschten im Flur, als Anders und
Per Ole Blicke wechselten. Per Oles war fragend, ein wenig ängstlich. Doch
Anders schwieg. Es war noch nicht an der Zeit.
Schließlich sagte Per Ole unbeholfen: »Ich hab das Auto in
der Einfahrt gesehen …«
Anders nickte.
»Ist er …?«
Anders nickte.
»Schläft er?«
Anders zuckte die Achseln.
»Und Mama?«
Anders schaute auf die Uhr. »Kommt bestimmt jeden Moment.
Keine Ahnung.«
Jim sah verständnislos von einem zum anderen, bis Per Ole
ihn die Treppe hinaufzog.
Das Telefon klingelte. Anders nahm ab.
»Kann ich mit Vebjørn Lindeman sprechen?«
»Er ist krank. Wer ist da?«
»Erling Sachs. Bis du das, Anders? Ich würde gern ein paar
Worte mit deinem Vater wechseln.«
»Er schläft.«
Erling seufzte. »Du willst deinen Vater beschützen, Anders,
das verstehe ich, und das respektiere ich. Aber gerade heute ist es besonders
wichtig, dass du mich mit ihm sprechen lässt.«
»Es tut mir leid, er schläft.«
Die Stille hielt ein paar Sekunden an. »Weißt du, in
welcher Situation sich dein Vater befindet?«
»Ja.«
»Sind dir denn auch die Folgen klar?«
»Ich glaube, wir beide sollten keine Zeit mit Diskussionen
über Ursache und Wirkung verschwenden.«
»Anders!«
Anders legte auf. Das Telefon klingelte erneut. Er hob den
Hörer ab.
»Kann ich Vebjørn Lindeman sprechen?«
»Welche Nummer haben Sie gewählt?«
»Mein Name ist Skånland. Ich bin Journalist der
Handels
und Sjøfartstidende.
Ich würde gern mit …«
»Da müssen Sie sich verwählt haben«, sagte Anders und
legte auf. Augenblicklich klingelte das Telefon wieder. Anders nahm mit einem
Seufzen den Hörer ab.
»Mein Name ist Dagfinn Bløgger, ich bin Redakteur des
Magazins
Avanse
…«
Anders legte auf. Er zog den Stecker heraus und atmete tief
durch.
Per Ole kam die Treppe hinuntergelaufen. »Jim bleibt für
ein paar Tage bei uns«, sagte er und ging in die Küche. »Er kommt aus
Stavanger.« Per Ole öffnete den Küchenschrank und sah sofort, dass dort, wo
früher die Gläser in ordentlichen Reihen gestanden hatten, Scherben lagen.
»Was ist passiert?«
»Siehst du das Loch da?«
Per Ole strich mit dem Zeigefinger über das Loch in der
Schranktür.
»Er hat versucht, sich zu erschießen.«
»Versucht?«
Anders nickte.
»Wann?«
»Vor einer halben Stunde.«
»Mit welcher Waffe überhaupt?«
»Mit einer Pistole. Weiß der Henker, wo er die her
hat.«
»Eine Pistole?«
»Entspann dich, ich hab sie versteckt.«
»Ist es so schlimm?«
»Wie immer, würde ich sagen.«
»Hat er das mit den Testamenten aufgegeben?«
»Falsche Frage.«
»Was?«
Anders sagte: »Du stellst die falschen Fragen. Wenn ich dir
sage, dass Papa versucht hat, sich zu erschießen, dann musst du fragen, was
passiert ist, ob alles in Ordnung ist, ob er oder jemand anders verletzt
ist.«
Per Ole setzte sich. »Verdammt, Entschuldigung. Ich habe
nicht nachgedacht.«
»Es ist nichts passiert«, sagte Anders. »Aber ich habe das
Telefon ausgestöpselt. Irgendwas ist bei der Arbeit schiefgegangen, weiß der
Teufel, was.
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