Schwarzes Gold Roman
Fernsehapparat im Schlafzimmer. Es war
praktisch. Ließ man den Fernseher unablässig laufen – sowohl im Wohn- als
auch im Schlafzimmer, gelang der Übergang von alltäglicher Gemütlichkeit im
Wohnzimmer zu Intimsphäre im Schlafzimmer wesentlich gleitender.
Bette Line sah sich eine Talkshow an, als Erling hereinkam
und sich neben sie ins Doppelbett legte. Der Kopf der Konservativen Partei
debattierte mit der Vorsitzenden der Arbeiterpartei – Kåre Willoch gegen Gro
Harlem Brundtland.
»Ich halte diese Frau nicht aus«, sagte Bette Line. »Man
kann sie ja gar nicht verstehen. Da kommt ein Satz nach dem anderen, und dann
redet sie die ganze Zeit vom Individuum und der Gesellschaft, man könnte
meinen, sie hätte dafür extra einen Kurs an der Universität belegt.«
»Sie ist doch Ärztin«, sagte Erling und stützte sich auf
die Ellenbogen. Kåre Willoch führte seine Gedanken mit kleinem, spitzem Mund
und in wohlbedachten Sätzen aus.
»Die hat doch Haare auf den Zähnen«, sagte Bette Line.
»Guck doch, schau sie dir an, die hat Haare auf den Zähnen, sie hält es
nicht aus, wenn man ihr widerspricht. Nein, ich kann diese Frau nicht
leiden.«
»Dein Vater ist nicht ganz bei sich.«
»Da hast du recht. Er ist ein toller Kerl, aber manchmal ist
er nicht ganz bei sich.«
»Er hat Vebjørn zum Konzernchef gemacht. Der Mann ist doch
verrückt.«
Bette Line drehte sich zu ihrem Mann um. Sie nahm die
Fernbedienung vom Nachttisch und stellte den Ton leiser. Mit Erling über
Vebjørn zu sprechen konnte gut ausgehen, musste es aber nicht unbedingt. Die
einzigen Gelegenheiten, zu denen Bette Line eine Art Eifersucht bei ihrem Mann
wahrgenommen hatte, waren die Gespräche über Vebjørn Lindeman. Sie
räusperte sich und wagte es: »Es ist Spenning & Co nie besser gegangen
als zu den Zeiten, als Vebjørn Lindeman dort gearbeitet hat.«
»Das ist bald zehn Jahre her.«
Bette Line antwortete nicht. Sechs Jahre, dachte sie. Es ist
sechs Jahre her. Doch sie sprach die Worte nicht aus. Es erschreckte sie ein
wenig, dass sie so genau wusste, wie lang es her war. Sie hatte nicht einmal
darüber nachdenken müssen.
»Außerdem ist er ein Säufer«, sagte Erling.
Bette Line lag da und versuchte, die Stimmung zu deuten. Alle
wissen, dass Vebjørn trinkt, dachte sie – nicht ohne eine gewisse
Selbstironie –, aber niemand fragt nach den Gründen dafür. Doch ihr war
klar, dass sie das Gespräch besser in eine andere Richtung lenken sollte. Es
konnte sonst nur schieflaufen. Es war eindeutig, dass Erling über Vebjørn
sprechen wollte, also war es besser, sie lenkte die Unterhaltung weg von seiner
Sauferei. Sie sagte: »Was das betrifft, haben sie einen Deal.«
»Wer?«
»Papa und Vebjørn.«
Erling nahm ihr die Fernbedienung aus der Hand und schaltete
den Fernseher aus. Dann kroch er unter die Decke.
Bette Line lag ganz still. »Gute Nacht«, flüsterte sie.
»Einen Deal?«
»Hm?«
»Du hast gesagt, dass Vebjørn und dein Vater einen Deal
haben.«
Bette Line rollte auf die Seite und erkannte vage Erlings
Profil auf dem Kopfkissen. Er hatte die Augen weit geöffnet und starrte an die
Decke. »Antabus«, flüsterte sie. »Papa hat eine Forderung gestellt:
Vebjørn bekommt die Stelle nur unter der Bedingung, dass er sich Antabus
implantieren lässt – also aufhört zu trinken.«
»Aber Vebjørn ist doch auf der Stelle bei der CBK entlassen
worden!«
Bette Line gähnte. »Papa hat sich um solche Sachen noch nie
geschert.«
»Vebjørn als Chef von Spenning AS einzusetzen, musste doch
wohl vom Aufsichtsrat genehmigt werden! Ich verstehe nicht, dass sie das haben
durchgehen lassen!«
»Erling, Papa gehört dieser Aufsichtsrat.«
Erneut senkte sich Stille über das Schlafzimmer. Sie
betrachtete noch immer Erlings Umriss. Aber sie war müde. Langsam fielen ihre
Augen zu. »Ich will jetzt schlafen«, murmelte sie. »Gute Nacht.«
16
Während sich das Jahr 1980 seinem Ende zuneigte,
beschäftigte sich Erling Sachs mit der alljährlichen Zustandsanalyse. Jedes
Jahr im Dezember schloss er sich in seinem Büro ein, um das Dokument zu
verfassen, das in der Finanzbranche gemeinhin »Thronrede« genannt wurde und
inzwischen sehr gefragt war. Erling verschwendete eine enorme Energie auf die
Arbeit an der Thronrede. Das Schriftstück diente seiner und der Profilierung
des Unternehmens in der norwegischen Finanzwelt. Anfangs war das Interesse an
der Analyse von Kapitalinvest
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