Schwarzes Prisma
es.
Eine Kammersklavin öffnete die Tür, beinahe bevor der Schwarzgardist zu klopfen aufhörte. Eine hübsche Frau mit beunruhigend bleicher Haut und dem roten Haar einer Blutwäldlerin. Sie war voll bekleidet und wachsam trotz der frühen Stunde und der Dunkelheit des Raums hinter ihr.
»Marissia«, sagte Liv. »Wie schön, dich wiederzusehen.« Ihre Stimme klang nicht vollkommen aufrichtig.
Die Sklavin schien nicht allzu erfreut zu sein, Liv zu sehen. Kip fragte sich, warum Liv dann den Namen der Sklavin benutzt hatte. Er dachte, das tue man nur bei Sklaven, zu denen man ein freundschaftliches Verhältnis hatte.
Aus den Tiefen des Raums hörten sie Gavins Stimme, tief und rau, weil er gerade erst erwacht war. »Umh, gib mir ein …« Was immer er sonst sagte, ging in Kissen unter. Einen Moment später knallten sämtliche Fenster auf, und Licht strömte von allen Seiten herein, blendete beinahe alle, die es sahen, und entlockte dem Prisma auf seinem Bett ein lautes Stöhnen.
»Das ist geniale Magie!«, sagte Liv. »Sieh dir das an, Kip!« Sie zeigte auf einen dunklen, purpurschwarzen Glasstreifen rund um die gläsernen Wände, die sich um das ganze Gemach zogen.
»Was hast du – vergisst du, warum wir hier sind?«, fragte Kip.
»Oh, tut mir leid.«
Gavin blinzelte sie an. »Marissia, Kopi, bitte.«
Die Frau knickste. »Erster Schrank, drittes Abteil von links.« Dann ging sie.
»Kopi ist im Schrank?«, fragte Gavin. »Was zur Hölle? Wer stellt Kopi – und warum bedienst du mich nicht?« Die Tür schloss sich hinter ihr. »Und wo ist mein Lieblingshemd – oh, Schrank. Verdammtes Frauenzimmer.«
»Offensichtlich ein Morgenmensch«, murmelte Liv leise.
Kip schnaubte, bevor er sich bremsen konnte.
Gavin hatte zu Boden geschaut, aber jetzt warf er Kip einen Blick zu. »Dies sollte besser etwas Wichtiges sein.« Er warf seine Decken beiseite und ging zum Schrank. Er war unbekleidet.
Kip hatte Gavins Unterarme gesehen, mit Hanfseilen als Muskeln, und er hatte gewusst, dass sein Vater schlank war, aber seinen ganzen Körper zu sehen, war halb ehrfurchtgebietend und halb ein Schlag ins Gesicht. Kips Schultern waren so breit wie die von Gavin, und seine Arme waren wahrscheinlich im Umfang so dick wie die seines Vaters, aber selbst jetzt – nicht nach körperlicher Anstrengung, nicht erfüllt von harter Arbeit, sondern jetzt, nachdem er geschlafen hatte – bestand Gavins Körper nur aus Muskeln, zwischen denen für Fett einfach kein Platz war. Anscheinend war das das Ergebnis, wenn man rund um die Sieben Satrapien ruderte und glitt.
Wie kann ich von so etwas abstammen?
Kip wurde sich bewusst, dass Liv, die neben ihm stand, Gavin mit offenem Mund anstarrte. Sie wandte den Blick nicht ab, nicht einmal, als Gavin im Schrank zu stöbern begann.
»Liv«, flüsterte Kip.
»Was?«, fragte sie, dann schaute sie mit flammenden Wangen weg. »Er ist das Prisma. Es ist praktisch meine religiöse Pflicht, ihm meine volle Aufmerksamkeit zu schenken.«
Gavin, der sie überhaupt nicht wahrzunehmen schien, griff sich einige Kleider und sagte, ohne sie anzusehen: »Ana, es ist unhöflich zu starren.«
Liv errötete noch heftiger und schrumpfte entsetzt in sich zusammen.
»Ihr Name ist Liv«, bemerkte Kip.
»Ich kenne ihren Namen. Also, was gibt es?«, fragte Gavin, während er ein blendend weißes Seidenhemd mit goldenen Paspeln anzog.
Hinter Kip wurde die Tür geöffnet, und Marissia und Hauptmann Eisenfaust traten ein. Eisenfaust blieb an der Tür stehen, während Marissia ein Tablett mit einem Silberservice und drei Tassen hereinbrachte. Sie schenkte ein dunkles, sahniges, dampfendes Gebräu in eine Tasse und reichte sie Gavin, dessen Hose und Hemdsärmel noch immer unverschnürt waren. »Hauptmann? Kip?«, fragte Gavin und deutete auf die anderen Tassen. »Ich denke, Liv ist ohnehin schon wach genug.«
Liv sah aus, als wäre sie am liebsten im Boden versunken. Kip grinste.
Eisenfaust nahm sich von dem Kopi, während Marissia sich daranmachte, Gavin fertig anzukleiden. Auch Kip ergriff eine Tasse. Aber als er die Karaffe anhob, begannen seine Hände so heftig zu zittern, dass er nicht einmal versuchen konnte, seine Tasse zu füllen.
»Jemand hat versucht, mich vom Balkon zu werfen«, sagte Kip.
Es war, als machten die Worte sein Erlebnis erst real. Noch vor einer Minute hatte er mit Liv gewitzelt, hatte darüber nachgedacht, wie wenig er seinem Vater ähnelte, und gegrinst, als Liv verlegen geworden
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