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Schwarzes Prisma

Schwarzes Prisma

Titel: Schwarzes Prisma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
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perfekt passen.
    Karris starrte das Kleid den ganzen Tag lang voller Abscheu an, während Krämpfe in ihren Eingeweiden tobten, während der unausweichliche Durchfall kam, während sie einige Male beinahe ohnmächtig wurde. Dieses Kleid symbolisierte mehr als den Umstand, dass sie Rask Garaduls kindischer Fantasie nachgab. Dieses Kleid war Karris’ Jugend. Es war das Mädchen, das sie gewesen war. Es war Weiblichkeit, Weichheit, Nachgiebigkeit. Der verzweifelte Wunsch, die Blicke auf sich zu ziehen, die Eifersucht der anderen Mädchen, den Neid älterer Frauen, die Aufmerksamkeit von Männern. Karris war schwach und schäbig und dumm gewesen, hoffnungslos abhängig.
    Sie würden sie natürlich zwingen, das Kleid zu tragen. Sie konnte es jetzt anziehen oder geschlagen werden, bis sie nachgab und es überstreifte. Natürlich konnte sie es in Fetzen reißen. Obwohl das befriedigend gewesen wäre, würde es das Unausweichliche lediglich hinauszögern. Außerdem würden sie sie ohne das Kleid nicht aus dem Wagen lassen. In diesem Punkt war sie sich sicher. Was sie nicht wusste, war, ob sie sie mit dem Kleid hinauslassen würden. Trotzdem, es war eine bessere Chance als gar keine. Und wie sollte sie Rask Garadul in diesem Wagen töten?
    Sie zog das Kleid an.
    Sie wollte es hassen. Sie wollte es mit Leidenschaft hassen. Aber sie hatte seit Jahren nichts mehr getragen, das ihr so gut passte. Ihre Schwarzgardistenuniform passte natürlich wie ein Handschuh, aber das war Arbeitskleidung. Dies, das Wispern von feiner Seide auf Haut, war etwas ganz anderes. Es passte wie ein Etuikleid. Wenn es nicht so perfekt geschneidert gewesen wäre, hätte sie nicht atmen und sich erst recht nicht bewegen können. Das Kleid schmiegte sich hauteng um ihre Hüften und ihren Bauch, und der großzügige Ausschnitt lenkte die Aufmerksamkeit gleichermaßen auf das Faltenwerk feiner Seide und auf ihr Dekolletee. Gewiss war ihr altes Kleid hinten nicht so tief ausgeschnitten gewesen, und die wenigen dünnen, miteinander verbundenen Bänder betonten nur die grundlegende Nacktheit ihres Rückens. Als sie auf ihre Brust hinabschaute – es gab keinen Spiegel in dem Wagen –, hoffte sie, dass sie nicht frieren würde. Wenn sie es tat, würden alle es wissen.
    War ihr Kleid ungefüttert gewesen, als sie diese dumme Sechzehnjährige gewesen war? Hatte sie es überhaupt bemerkt? Sie konnte sich nicht erinnern. Alles, woran sie sich erinnern konnte, war die Tatsache, dass sie dieses Kleid geliebt hatte. Sie hatte sich wie die Göttin Atirat gefühlt, als sie darin neben Gavin gestanden hatte, während ihr langes Haar in einer mit Diamanten und Smaragden übersäten Tiara gefangen war und die Menschen sie praktisch angebetet hatten. Sie hatte sich selbst davon überzeugt, dass sie Gavin lieben konnte. Zuerst, vor dem Ball der Luxlords, hatte sie sich mehr zu ihm hingezogen gefühlt als zu Dazen. Gewiss konnte sie diese Glut wieder aufflammen lassen, wenn sie darauf blies.
    Dazen hatte ewig im Schatten seines älteren Bruders gestanden, und er schien damit zufrieden gewesen zu sein. Gavin war so selbstbewusst gewesen, so beherrscht. Sie hatte sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen gefühlt, genau wie alle anderen auch. Aber nach jener Nacht auf dem Ball der Luxlords hatte sich alles verändert. Nachdem sie Dazen kennengelernt hatte, schien Gavin plötzlich keine gar so großen Tiefen mehr zu haben. Dazen hatte seine eigene Stärke niemals verstanden. Er hatte Gavin angebetet, hatte all seine eigenen Tugenden auf seinen älteren Bruder übertragen, war blind gewesen gegen dessen Fehler und hatte dessen Fähigkeiten übertrieben. Gavin hatte sich an all der Bewunderung gelabt und war daran fett geworden.
    Aber Gavin war noch immer zauberhaft, modisch, beherrschend und viel bewundert gewesen. Der sechzehnjährigen Karris war die Meinung anderer sehr wichtig gewesen. Sie wollte ihrem Vater gefallen, ihrer Mutter, Koios und ihren anderen Brüdern, ihren Magistern, allen. Gavin war alles, was gut war. Er war das Prisma, sein Bruder an diesem Punkt ein in Schande gefallenener Flüchtling und ein Mörder. Karris erinnerte sich, dass sie sich davon überzeugt hatte, mit dem Prisma zufrieden sein zu können. Zufrieden – mit dem meistbewunderten, meistgefürchteten, meistbegehrten Mann in den Sieben Satrapien. Außerdem musste sie Gavin, nach dem, was Dazen getan hatte, heiraten, oder das, was von ihrer Familie übrig war, wäre verloren gewesen.
    Auf dem Podest,

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