Schwarzes Prisma
sondern starrte sie nur an. Ihre Kammersklavin hatte sie mit zitternden Fingern entkleidet, und als Karris endlich ins Bett gefallen war, hatte die Silhouette ihres Vaters die Tür zu ihrem Zimmer verdunkelt. Er schwankte und lehnte sich an den Türrahmen.
»Ich könnte ihn zum Duell fordern«, hatte er gesagt. »Aber er würde mich töten, Karris, und dann wärst du ruiniert. Hoffnungslos. Wir würden alles verlieren, wofür unsere Väter fünfzig Generationen lang gekämpft haben. Morgen wird vielleicht alles besser aussehen.«
Sie war zwei Tage lang krank vor Weinen gewesen, und als sie wieder aufgetaucht war, hatte Gavin sie in der Öffentlichkeit geküsst, ihr den Platz zu seiner Rechten gegeben und sie wie eine Königin behandelt. Es war, als hätte es diese Nacht niemals gegeben. Oder als sei alles wunderschön gewesen.
Später war sie zu dem Schluss gekommen, dass er wohl erkannt hatte, dass es seinem Ansehen nutzte, weil alle von ihnen beiden als einem perfekten Paar sprachen und von ihrer Schönheit. Statt sie also beiseitezustoßen, hatte er sich dafür entschieden, die Heirat stattfinden zu lassen. Aber dann war er fortgegangen und hatte kurze Zeit später die letzte Schlacht ausgefochten, die bei den Getrennten Felsen.
Als er zurückkam, schien er ein anderer Mann zu sein. Er behandelte sie mit echter Wärme und Respekt, so ganz anders als der Mann, der sie aus seinem Schlafgemach verbannt hatte, nachdem er sein Vergnügen mit ihr gehabt hatte. Es ließ Karris zweifeln, ob es diese Nacht überhaupt gegeben hatte. Sie hätte sich einreden können, es sei alles ein Albtraum gewesen – bis sie herausfand, dass sie schwanger war. Am selben Tag, als ihr dies bewusst geworden war, bevor sie es ihm sagen konnte, hatte Gavin ihr Verlöbnis gelöst.
Sie war sechzehn gewesen, schwanger und ohne jede Aussicht auf eine Ehe. Mit anderen Worten, der perfekte Albtraum ihres Vaters. Sobald sie sicher war, dass sie keine Fehlgeburt haben würde, hatte sie es ihrem Vater erzählt. Er hatte verlangt, dass sie die Chirurgen aufsuchte und die Angelegenheit bereinigen ließ.
Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie ihrem Vater getrotzt. Zur Hölle mit ihm. Er machte Anstalten, sie zu schlagen. Sie zog eine Pistole. Sie erklärte ihm, dass sie ihm den Schädel wegschießen würde, wenn er es wagte, sie zu schlagen. Sie bezeichnete ihn als Feigling. Sie würde Gavins Bastard austragen und die Welt wissen lassen, dass es seiner war. Zur Hölle mit ihm, und zur Hölle mit ihrem Vater, und zur Hölle mit allen. Die Geburt dieses Kindes würde ihre erste freie Tat sein und ihre Rache.
Ihr Vater war auf die Knie gefallen und hatte gebettelt. Buchstäblich gebettelt. Bitte, rette unsere Familie, wir dürfen nicht diejenigen sein, die all die Generationen von Weißeiches verraten, die alles geopfert haben, um uns hierherzubringen. Wir und uns, sagte er. Er meinte ich und mich. Er war derjenige, der ihre Familie zerstört hatte, und er wusste es. Er sah so klein und schwach aus, während kalter Schweiß auf seinem erkahlenden Kopf glänzte. Plötzlich verachtete sie ihn. Er war der absolute Herr über sie gewesen, und er war abstoßend. Sie stellte sich taub gegen sein Flehen, und die kranke, schlaffe Verzweiflung in seinen Augen erfüllte sie mit Freude.
Zwei Tage später küsste ihr Vater den Doppellauf einer Pistole und sprengte sich damit das Hirn aus dem Kopf. Seine Rechnungsbücher waren allesamt in Ordnung. Damit hatte er diese beiden Tage verbracht. Der gesamte Besitz der Familie war verkauft worden, um ihre Schulden zu bezahlen, und es war genug übrig geblieben, damit Karris für den Rest ihres Lebens ein stilles Dasein führen konnte, genug, um ihr uneheliches Kind zu unterstützen. Ihr Vater hatte für alles gesorgt. Sein Abschiedsbrief hatte lediglich erklärt, wo sich die verbliebenen Gelder befanden, außerdem hatte er Karris mitgeteilt, wohin sie gehen könne, wenn sie ihr Kind heimlich zur Welt bringen wollte. Der Brief flehte sie nicht an, das zu tun. Stattdessen enthielt das Schreiben überhaupt keinerlei Gefühl. Keine Flüche, keine Vergebung, kein Bedauern. Er war genauso leer wie sein Schädel, nachdem die Pistolenkugel ihn durchschossen hatte. Nur Blut und Reste von Schwarzpulver. Dumm und tot. Hohl, schmutzig.
Sie konnte es nicht ertragen, auf den Jasper-Inseln zu bleiben, konnte das Mitleid und die verlegenen Blicke nicht aushalten. Also war sie fortgegangen, zum Haus einer entfernten Cousine tief im
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