Schwarzes Prisma
Blutwald. Sie hatte das Kind geboren und sofort weggegeben, hatte es nicht einmal umarmt, hatte nicht einmal nach seinem Geschlecht gefragt und nur durch die Indiskretion ihrer Gastgeber erfahren, dass es ein Junge war. Die Familie, die Gavins Bastard adoptierte, lebte in der Nähe, und Karris konnte es nicht ertragen zu bleiben, also war sie in die Chromeria zurückgekehrt. Sie hatte binnen kurzer Frist wieder ihr altes Gewicht gehabt, und ihre junge Haut zeigte kaum Schwangerschaftsstreifen. Es war, als sei nichts geschehen, bis auf die Erinnerungen, die sich wie schwarzes Luxin an sie hefteten und ihre Seele auffraßen.
Dann ist es wohl passend, dass mein neues Kleid schwarz ist, oder? Ein kleines Stück Mitternacht, wie das, was in mir ist.
Ich dachte, du hättest das Melodrama hinter dir gelassen, Karris.
Leg dich doch übern Zaun!
Ich denke, das ist es, worauf der König hofft.
Das wird ein Fest für uns beide werden. Ich hoffe, er liebt es blutig.
Also was? Ich soll dankbar dafür sein, dass ich jetzt meinen Monatsfluss habe? Keine große Chance auf …
Ein Krampf schüttelte sie mitten im Gedanken. Karris beugte sich vor. Es gab nicht viel Grund für Dankbarkeit.
Während sie zusammengekrümmt dasaß, wurde ein Stück Papier unter der Tür durchgeschoben. Karris hob es auf. Es war nicht größer als ihr Finger.
»Befehle: Töte KG . Dunkel. Kann nicht helfen.« Auf dem unteren Rand stand eine alte, dayrische Rune. Es war das verabredete Symbol zum Zeichen, dass die Mitteilung von dem Agenten kam, den zu treffen Karris ausgeschickt worden war. Nicht gut gezeichnet, aber korrekt.
Es war kein großer Code, aber sie hatten nie angenommen, dass Karris einen Code benötigen würde. Sie hatte den Agenten persönlich treffen sollen. Er wollte sich identifizieren, indem er einen Teil der Rune auf irgendeine Oberfläche zeichnete: einen Tisch, Erde, was auch immer. Karris hatte den Befehl, König Garadul zu ermorden. Im Geheimen. Und ihr Verbindungsmann würde ihr nicht helfen können.
Perfekt. Karris konnte den Zettel nicht einmal verbrennen, und obwohl er klein war, war er schmuddelig. Mit einer Grimasse steckte sie ihn in den Mund und schluckte ihn herunter.
Ihr Verbindungsmann würde ihr nicht helfen können. Verdammt, Karris, du hast so viel über die Vergangenheit nachgedacht, dass du keinen Gedanken an die Gegenwart verschwendet hast. Binnen eines Augenblicks hatte Corvan begriffen, dass irgendjemand Karris tot sehen wollte. Von allen Agenten der Weißen musste Karris die am wenigsten geeignete Person für diese Mission sein. Entweder wollte die Weiße Karris tot, oder …
Es gab keine andere Möglichkeit. Oder hat sie gehofft, man würde mich entführen und vielleicht vergewaltigen? Lächerlich.
Sie wusste, dass sie die Weiße bisweilen verärgerte, aber sie hatte gedacht, dass die halsstarrige alte Frau sie mochte. Andererseits spielte die Weiße immer ein kompliziertes, undurchschaubares Spiel. Vielleicht dachte sie, sie könnte Karris tot benutzen, um etwas anderes zuwege zu bringen.
Karris war speiübel. Es war möglich. Sie hätte es früher nicht gedacht, aber sie hatte geschworen, wenn nötig ihr Leben für die Weiße zu geben. Vielleicht hatte die Weiße beschlossen, dass es notwendig war.
Es klopfte an der Wagentür. Es war der gleiche Ablauf wie zuvor, jede Menge Wandlerinnen, jede Menge Wachen. Diesmal kamen jedoch mehrere Frauen mit Dosen voller Puder und Schminke herein. Mit kühler Tüchtigkeit richteten sie Karris her, frisierten sie und trugen Parfüm auf. Aber sie gaben keinen Puder auf ihre Augen oder ihre Wimpern.
Und schon bald fand Karris heraus, warum das so war, als eine der Sklavinnen violette Augenkappen hervorholte. Geblendet mögen sie werden, sie hatten an alles gedacht.
»Wenn Ihr die hier abreißt, werdet Ihr gewiss Eure Haut abziehen«, sagte eine der Sklavinnen. »Und möglicherweise werdet Ihr Euer ganzes Augenlid abreißen. Wenn Ihr sie nicht anfasst, schenkt der König Euch vielleicht größere Freiheit, und es wird Euren Augen nicht wehtun. In einigen Tagen werden sie sich lockern und von selbst abfallen.«
»Und du wirst sie sogleich wieder ankleben«, sagte Karris.
»Ja.«
Sie probierten, wie die Kappen über ihre Augen passten. Die Sklavin, ihren Gesichtszügen nach eine Frau aus dem Osten von Atash, runzelte finster die Stirn. »Damit die Kappen passen, werden wir zusätzlichen Leim benutzen müssen. Zusätzlicher Leim bedeutet, dass Eure Wimpern,
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