Schwarzes Prisma

gehört werden zu können. »Ich habe alle belogen. Ich habe so viel gelogen, dass ich manchmal vergesse, wer ich war. Bei allem, was mein Bruder und ich Karris angetan haben … ich konnte nicht … nun, Scheiße. Sie hat uns beide nackt gesehen, nicht wahr? Wenn irgendjemand den Unterschied merken würde, dann sie. Es wäre der schnellste Weg, um alles zu zerstören.«
    »Das stimmt, aber du wolltest etwas anderes sagen«, entgegnete Corvan, den Blick auf seinen Sattel gerichtet, um Gavin einen Hauch von Privatsphäre zu geben.
    »Ich habe daran gedacht, weißt du? Sie zu heiraten und sie trotzdem zu täuschen. Oder wenn mir das nicht gelänge, ihr zu zeigen, dass sie keine andere Wahl hatte, als mein Geheimnis zu wahren. Am Ende war sie das Einzige, was ich nicht zu besudeln bereit war. Nachdem ich weggelaufen war, verliebte sie sich in meinen Bruder. Wenn sie die Wahrheit herausgefunden und beschlossen hätte, mich zu zerstören …« Gavin zuckte die Achseln.
    Jetzt sah Corvan ihm in die Augen. »Ich weiß nicht, ob ich dich umso mehr bewundern oder entsetzt darüber sein soll, dass du so dumm sein kannst.«
    »Ich entscheide mich im Allgemeinen dafür, mich umso mehr zu bewundern«, sagte Gavin grinsend.
    Corvan lächelte widerwillig, lachte jedoch nicht.
    Sie ritten durch die Straßen, so schnell sie das tun konnten, ohne jemanden niederzutrampeln, und erreichten den Travertin-Palast, als sich Dunkelheit über das Land senkte. Eisenfaust stand am Tor. Untypischerweise hatte er ein gewaltiges Grinsen aufgesetzt.
    »Hoher Lord Prisma«, sagte er. »Das Abendessen wartet.«
    Gavin runzelte die Stirn. Wenn Eisenfaust grinste, bedeutete das, dass etwas Peinliches, Unerfreuliches oder Ärgerliches bevorstand. Aber er würde nicht fragen. Bei diesem Grinsen würde Eisenfaust einfach noch breiter grinsen und seinen Spaß daran haben, noch rätselhafter zu tun. Also schön. Gavin machte sich auf den Weg in Richtung des privaten Speiseraums.
    »Hoher Lord«, warf Eisenfaust ein. »Die große Halle.«
    Sie war nur wenige Schritte entfernt. Gavin hatte kaum Zeit, darüber nachzudenken, warum sie fürs Abendessen die große Halle benötigen könnten, bevor er in das Vorzimmer der gewaltigen, überwölbten Halle kam.
    Die große Halle des Travertin-Palastes war, wenn sie auch vielleicht nur ein Drittel der Größe der großen Halle der Chromeria maß, eins der Wunder der alten Welt. Die Türen waren gewaltige, wie Hufeisen geformte Bögen, grün und weiß gestreift, und kündeten von den Tagen, da die Hälfte Tyreas eine parianische Provinz gewesen war. Überall wechselten Travertin und weißer Marmor ab: im Schachbrettmuster des Bodens, in komplizierten, geometrischen Formen an den Wänden und in alten, parianischen Runen, die die Sockel der acht großen Holzsäulen zierten, die die Decke stützten, ihrer Anlage nach ein achtzackiger Stern. Jede Säule war volle fünf Schritt dick – Atasifusta, die machtvollsten Bäume der Welt –, und keine wurde wahrnehmbar schmaler, bevor sie die Decke erreichte. Das Holz war angeblich vor fünfhundert Jahren das Geschenk eines atashischen Königs gewesen. Jetzt waren diese Bäume ausgestorben, der letzte Hain gefällt während des Kriegs der Prismen. Gavin hatte nie herausgefunden, wer das getan hatte. Bei seiner Ankunft in Ru war der Hain einfach verschwunden gewesen. Seine Kommandanten – Dazens Kommandanten – hatten geschworen, dass die letzten Bäume noch gestanden hätten, als sie die Stadt verließen. Gavins Kommandanten hatten nach dem Krieg geschworen, dass die Bäume bei ihrer Ankunft nicht mehr da gewesen seien.
    Was die Atasifusta einzigartig machte, war der Umstand, dass ihr Saft Eigenschaften wie konzentriertes rotes Luxin hatte. Die Bäume brauchten hundert Jahre, um ihre volle Größe zu erreichen – diese Giganten waren mehrere hundert Jahre alt gewesen, als man sie gefällt hatte. Aber nachdem sie ihre Reife erreichten, konnte man Löcher in den Stamm bohren, und wenn der Baum groß genug war, sickerte der Saft langsam genug hinaus, um Flammen zu nähren. Diese acht Giganten hatten jeder hundertsiebenundzwanzig Löcher, eine Zahl, die früher anscheinend eine Bedeutung gehabt hatte, aber diese Bedeutung war inzwischen verloren gegangen. Auf den ersten Blick schien es, als stünden die Bäume in Flammen, aber die Flammen waren stetig und verzehrten niemals das Holz, das von einem geisterhaften Elfenbeinweiß war, abgesehen von den geschwärzten