Schwarzes Prisma
und waren streng.
Doch Livs Magen schlug Purzelbäume. Trotz des Aufruhrs der morgendlichen Menschenmenge, der Rufe der Händler, der Darbietungen der Minnesänger und des Knisterns des Leuchtwasserfeuerwerks konnte sie nichts von der ihr bevorstehenden Begegnung ablenken.
Das Kreuzeck war Kopi-Haus, Restaurant, Taverne und das teuerste Gasthaus auf den Jasperinseln, und unten befand sich angeblich ein gleichermaßen kostspieliges Bordell. Es lag zentral für alle Botschafter, Spione und Händler, die versuchten, mit verschiedenen Regierungen Geschäfte zu machen, sowie für die Wandler, die gerade über den Lilienstiel gekommen waren, denn es war in einer ehemaligen Botschaft untergebracht. Früher war das Haus die Botschaft Tyreas gewesen. Liv fragte sich, ob ihre Gönnerin es mit Absicht deswegen ausgewählt hatte oder nur weil sie wusste, dass es für Liv viel zu teuer war.
Liv trottete die prächtige Treppe in den ersten Stock hinauf, wo sich das Kopi-Haus befand. Eine schöne Empfangsdame kam ihr mit einem strahlenden Lächeln entgegen. Das Kreuzeck hatte das beste Personal in der Stadt: Bis auf den letzten Angestellten waren alle Männer, Frauen und Tischsklaven attraktiv, tadellos gekleidet und von unfehlbarer Professionalität. Liv hatte immer den Verdacht gehabt, dass die Sklaven hier mehr verdienten als sie selbst. Nicht dass das schwierig gewesen wäre. Tatsächlich war es Livs erster Besuch hier.
»Wie können wir Euch heute dienen?«, fragte die Frau. »Wir haben einige hübsche Tische am Südfenster.« Höflicherweise starrte sie nicht auf Livs grobe Kleidung.
»Ich hätte gern einen privaten Tisch, falls das möglich ist. Ich bin hier mit einer … Freundin von der ruthgarischen Botschaft verabredet, Aglaia Crassos.«
»Selbstverständlich, ich werde sie sofort zu Euch schicken.« Die Angestellten hier kannten jeden, der jemand war, mit Namen. »Werdet Ihr eine Dämpfung für Euren Tisch benötigen?«
Dämpfung? Oh. Liv kniff die Augen zusammen, um in das Ultraviolett hineinzusehen. Natürlich. Sie hatte es vergessen; auch davon hatte sie schon gehört. Ein Drittel der Tische hier war von ultravioletten Blasen umgeben. Die Blasen hatten natürlich Löcher, sonst würden die Gäste darin ersticken, so dass Geräusche nicht zur Gänze verdeckt werden konnten, aber es würde gewiss helfen sicherzustellen, dass es hundertmal schwerer war zu lauschen. In einigen der Blasen drehten sich sogar kleine, ultraviolette Fächer, um sie mit frischer Luft zu versorgen. Was, wie Liv begriff, ungeheuer praktisch war. Jene Gäste, die sich für die Blase entschieden, aber nicht für die Fächer, machten den Eindruck, als sei ihnen unangenehm heiß.
Liv würde jede Wette eingehen, dass es den Fächer für einen »geringen Aufpreis« gab.
Jetzt, da sie genauer hinschaute, begriff sie, dass die Empfangsdame selbst eine Ultraviolettwandlerin war; ihre Pupillen waren umgeben von einem Halo, der nur etwa ein Drittel der Iris umfasste. Kein Wunder, dass Liv es nicht sofort bemerkt hatte. Wenn ein Ultraviolettwandler diese Grenze überschritt, ging ihre Farbe in den sichtbaren Bereich über und verlieh dem Auge eine leicht violette Tönung, die bei braunen Augen kaum auffiel und blauen Augen zu einer erstaunlichen Schönheit verhalf. In diesen Genuss würde Liv mit ihren langweilig braunen Augen natürlich nicht kommen.
»Nun, eigentlich …«, sagte Liv. Sie drehte ihren Umhang, so dass die Frau ihren Rücken sehen konnte. Es war üblich für Ultraviolette, ein zusätzliches Muster in ihre Kleidung zu weben, damit andere Ultraviolette sie identifizieren konnten.
Die Pupillen der Empfangsdame verengten sich binnen eines Herzschlags zu Nadelstichen, während sie Livs Umhang betrachtete. »Sehr schön gemacht. Ultraviolette dürfen gern ihre eigene Dämpfung wandeln; lasst uns nur wissen, dass Ihr eine Dämpfung benutzen werdet, wenn Ihr hier seid, damit unsere Kellner sich darauf einstellen können.«
Die Frau führte Liv zu einem Tisch an den Fenstern der Südseite, wo sie durch Fenster Sonnenlicht bekommen konnte. Hier im Lichtgeschoss gab es reichlich Sonne – die Säulen und Strebebögen trugen mühelos das Gewicht des Daches, so dass die Fenster vom Boden bis zur Decke reichen konnten –, aber einer der Nachteile eines Ultravioletten war der, dass dicke Fenster wie diese für sie die Lichtsammlung beeinträchtigten. Jeder begabte Wandler konnte trotzdem Magie benutzen, aber es dauerte länger, und einige
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