Schwarzes Prisma
puddingweichen, nackten Beinen neben ihm her.
»Wir konnten deinen Herrn nicht retten, Sohn. Es tut mir leid«, sagte Eisenfaust. In dem schmalen Säulengang vor dem Hintereingang des Wachhauses der Kanoneninsel drängte sich ein Dutzend Soldaten. Einer warf Kip eine Decke über die Schultern. »Bringt diesen jungen Mann hinein und passt auf ihn auf«, befahl Eisenfaust. »Ich habe auf Großjasper etwas zu erledigen und werde ihn mit mir nehmen und die Familie verständigen. Zehn Minuten.«
Während die Soldaten Kip hineinführten, hörte er Eisenfaust leise fluchen: »Verdammt, das war meine beste blaue Brille.«
30
Liv Danavis ging mit energischen Schritten über die Luxin-Brücke, die der »Lilienstiel« genannt wurde und die Chromeria auf Kleinjasper mit den Märkten und Häusern auf Großjasper verband. Sie versuchte, die Anspannung in ihren Schultermuskeln zu ignorieren. Liv trug grobe Leinenhosen und einen Umhang gegen den kühlen Wind des sonnigen Morgens. Das dunkle Haar hatte sie sich zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, und an den Füßen hatte sie die gleichen vernünftigen, flachen Lederschuhe, die sie getragen hatte, als sie als verschreckte Vierzehnjährige vor drei Jahren in die Chromeria gekommen war. Wenn sie einbestellt wurde, verspürte sie immer die Versuchung, ihre schönsten Kleider anzuziehen, aber stets widerstand sie dieser Versuchung. Ihre reiche, herrische Gönnerin würde ihr das Gefühl geben, schäbig zu sein, ganz gleich, was sie trug, also konnte sie geradeso gut trotzig sein. Wenn Dazen Guile den Krieg der Prismen gewonnen hätte, wäre Liv Lady Aliviana Danavis gewesen, die Tochter des gefeierten Generals Corvan Danavis. Es wäre ein Ehrenabzeichen gewesen, Tyreanerin zu sein. Sie wäre niemandem irgendetwas schuldig gewesen. Doch Dazen war getötet worden, und jene, die auf seiner Seite gestanden hatten, waren in Ungnade oder Schande gefallen, und ihr eigener Vater war nur knapp einer Hinrichtung entgangen, obwohl er höheres Ansehen genoss als jeder andere General dieses Krieges. Jetzt war sie also die einfache Liv Danavis aus Rekton, die Tochter des Färbers. Und Ruthgar hatte sie unter Kontrakt genommen. Also was? Es machte ihr nichts aus, einbestellt zu werden.
Nicht viel.
Obwohl sie die letzten drei Jahre auf den Jasper-Inseln verbracht hatte, war Liv nicht allzu oft auf Großjasper gewesen. Die anderen Mädchen kamen jede Woche her, um Minnesängern zu lauschen, Speisen zu essen, die nicht in den Küchen der Chromeria zubereitet wurden, Jungen kennenzulernen, die keine Wandler waren, einzukaufen und nach Prüfungen zu viel zu trinken. Liv konnte sich nichts von alledem leisten und wollte niemanden um Almosen bitten, daher entschuldigte sie sich jedes Mal und sagte immer, sie müsse üben oder lernen.
Der Vorteil davon war der, dass sie gegen die Wunder von Großjasper noch nicht abgestumpft war. Die ganze Insel war übervoll mit Gebäuden, aber nichts von der Bebauung war – anders als zu Hause oder in Garriston – dem Zufall überlassen worden. Die Gebäude waren aus weißem Stuck, blendend hell in der Sonne, und erhoben sich mit der Form des Landes in Terrassen. Geometrische Formen waren vorherrschend: sechseckige Gebäude und achteckige, mit Kuppeln gekrönte Gebäude. Jedes Gebäude, das groß genug war, um eine zu rechtfertigen – und viele, die es nicht waren –, stellte eine Kuppel zur Schau, und die Kuppeln hatten alle Farben des Regenbogens. Blaue Kuppeln von der Farbe der Azurblauen See, Kuppeln aus gehämmertem Gold auf den Häusern der Reichen, Kupferkuppeln, die allmählich grün wurden und die jedes Jahr geschrubbt wurden, um am Sonnentag wieder zu glänzen, Kuppeln, die in der Farbe von Blut gestrichen waren, und verspiegelte Kuppeln. Und wie die Kuppeln waren auch die Türen wunderschön. Es war, als rebelliere die ganze unbezähmbare Persönlichkeit der Jasperiten gegen die Einförmigkeit ihrer weißen Mauern und die ähnlich geformten Häuser, aber nur, indem sie ihre Türen dekorierten und ihnen besondere Muster gaben. Exotische Hölzer, Schnitzereien, die ihre Vorbilder in allen Winkeln der Sieben Satrapien hatten, und sogar Türen aus noch lebendem Holz, aus dem Sprossen und Blätter wuchsen wie bei den Baumleuten, tyreanische Hufeisentore, parianische Schachbrettmuster, gewaltige Tore an kleinen Häusern, Schlüssellochpforten an riesigen Bauten: All das konnte man hier finden.
Aber mindestens ebenso großartig wie die farbigen Kuppeln
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