Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
da liegt der Unterschied. Wildblüter besitzen die Herzen von Bestien, aber in ihren Knochen sind sie Ingvalds Kinder. Diese Spannung macht sie zu dem, was sie sind. Baoziten haben das nicht. Sie sind immer Männer, und sie werden trainiert wie geschlagene Hunde. Schlage einen Hund lange genug, und der starke wird wild, während der sanfte stirbt.«
»Wie viele Wildblüter sind noch übrig?«
»Nicht viele.« Sie hielt den Blick auf die Straße gerichtet. Hinter den hüpfenden Wagenlaternen war sie schwarz wie das weglose Meer. »Nur wenige haben die Kraft, hin- und hergerissen zwischen zwei Naturen zu leben. Es gab niemals viele, aber jetzt gibt es noch weniger. Einige von jenen, die vielleicht Wildblüter geworden wären, ziehen es vor, stattdessen Sommerländergöttern zu folgen – es werden mit jedem Jahr mehr, sagen die Alten. In einer Generation, vielleicht in zwei, glauben manche, werden die Wildblüter vollkommen verschwunden sein.«
»Werdet Ihr sie betrauern?«
»Andere werden es tun. Nicht ich.« Die Wagen vor ihnen waren stehen geblieben. Ihre Ochsen schnaubten überrascht, als sie beinahe gegen den Wagen vor ihnen prallten. Irgendetwas muss die Straße blockieren. Sie gab die Zügel an Heradion weiter. »Bleib hier. Ich sehe mal nach, was los ist.«
Auf halbem Weg trat Falcien zu ihr, nachdem er seinen eigenen Wagen Evennas Händen überlassen hatte. »Warum sind wir stehen geblieben?«
»Das weiß ich noch nicht.«
Vor dem ersten Wagen hatte sich eine kleine Menschenmenge gebildet. Einige der Fahrer unterhielten sich gedämpft; sie konnte die Worte nicht verstehen, aber Furcht lag in ihrem Raunen. Ihre Laternen formten einen wogenden Teich aus Licht, an dessen unruhigem Ufer Colison stand.
Asharre drängte sich nach vorn durch. Sie war größer und breitschultriger als alle anderen Fahrer, und sie stieß die Männer mühelos beiseite. Falcien folgte ihr schweigend und trittsicher.
»Was ist passiert?«
»Ich weiß es nicht genau.« Colisons Hand zitterte, als er von einem Wagenlenker eine Laterne entgegennahm. Es war seltsam, das bei einem Mann zu sehen, der die Speerbrücke überquert hatte, ohne mit der Wimper zu zucken, und es erfüllte Asharre mit bösen Vorahnungen. »Kommt mit!« Er hielt inne, sah Falcie n an und nickte angespannt. »Ihr auch. Könnte sein, dass wir Eure Gebete brauchen.«
Die Bergwand wölbte sich nach innen, als Colison sie die Straße entlangführte und bei jedem Schritt mit seinem Stab auf den Stein klopfte. Asharre hörte Wasser gurgeln. Stacheliges b raunes Gras bedeckte eine Lichtung, die ein Spiegelbild der Lichtung auf der anderen Seite der Speerbrücke war; über dem toten Teppich schwankten unbelaubte Bäume in der Nacht.
»Das ist der andere Lagerplatz«, sagte Asharre. Eine Spur unbeschlagener Hufe wie die der Ponys, die Colison mitführte, führte über den eisverkrusteten Schnee vor ihnen. Die Abdrücke verschwanden in der Dunkelheit und kehrten zurück. Das Pony war im Schritt gegangen, als es die Lichtung verlassen hatte, war bei seiner Rückkehr jedoch getrabt. Irgendetwas hatte das Tier oder seinen Reiter so aufgeschreckt, dass sie über den trügerischen Grund geeilt waren.
»Jawohl.« Colison nahm die Laterne in die linke Hand und schob die rechte in eine Tasche. »Jassel ist vorausgeritten, um die Straße zu erkunden. Er ist so weit gekommen und hat dann kehrtgemacht.«
»Warum?«, fragte Falcien.
»Er sagte, hier sei getötet worden.« Colison stapfte über den knirschenden Schnee. Asharre folgte ihm vorsichtig.
Auf halbem Wege über die Lichtung warfen kleine Glasscheiben das Licht der Laterne zurück. Eine winzige Hütte kauerte sich an den Berg. Feuerholz, auf dem sich Schnee türmte, lag an den Wänden aufgestapelt. Ein zweiter Holzhaufen, fast so groß wie das Haus, stand daneben. Auch er war von unberührtem Schnee bedeckt. Ein Stab aus Hickoryholz ragte aus der Seite der Hütte hervor, an dem eine Lampe mit einer spitzen Metallkappe hing. Es war das Glas der hängenden Lampe, das ihr Licht zurückwarf. Die Lampe selbst war dunkel und ihr unterer Rand weiß bestäubt.
»Hier ist seit einer ganzen Weile niemand mehr gewesen«, bemerkte Falcien.
»Jawohl. Das hat Jassel auch gesagt. Nicht viele kommen im Winter hier vorbei – nicht dass zu irgendeiner anderen Zeit des Jahres viele hier vorbeikämen –, aber er fand es merkwürdig, dass Laedys ihr Holz nicht benutzt hatte. Er macht sich Sorgen, dass ihr etwas zugestoßen sein
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