Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
Daumen in Harulds Richtung. »Wir könnten ihn mitnehmen. Ihn in die Gruben werfen. Er ist groß. Hat das Nordblut in sich.«
»Das könnten wir.« Der Soldat mit dem Morgenstern stieß Haruld mit einem Stiefel in die Seite. Haruld konnte nur ächzen und versuchen, sich wegzuwälzen. Sein verkrüppeltes Knie schmerzte wie die Hölle. »Er kann jedoch nicht laufen, und ich habe seine Kampfhand gebrochen. Mir scheint, er wäre die Mühe nicht wert.«
»Also?«
Sie vergewaltigten ihn. Sie vergewaltigten ihn, und sie entmannten ihn, und als sie ihn endlich sterben ließen und damit sein abgerissenes, flehendes Gebet erhörten, ließen sie sich auch damit Zeit.
Blink.
Asharre kam wieder zu sich, Galle auf der Zunge. Mit Mühe schluckte sie. Alles, was sie sah, war lange vor der Geburt des Großvaters ihres Großvaters geschehen. Diese Menschen waren lange tot; sie ging über ihre Schädel und ihre zerstörten Standarten. Es gab nichts, was sie für sie tun konnte … aber das Wissen machte es nicht leichter.
Heradion war zwei Schritte hinter sie zurückgefallen. Er zitterte, als ihn eine Vision berührte; sie konnte nur ahnen, was er sah. Nachdem er sich erholt hatte, sah er sie an und brachte ein mattes Lächeln zustande. »Liebenswerte Leute, diese Baoziten.«
»Sie sind tot«, sagte Asharre. Sie wusste nicht so genau, ob ihre eigenen Worte als Beruhigung oder als Ausdruck des Bedauerns gemeint waren. »Sie sind alle tot.«
Sie ging weiter. Sie war alt; sie war jung. Sie war ein Mann, eine Frau, manchmal ein Kind. Einmal glaubte sie, ein Wolf zu sein. Sie starb in Feuer, in Wasser, unter einem zischenden Mantel aus geschmolzenem Blei, unter mehr Schwertern, als sie zählen konnte. Sie starb auf Opferaltären und in den Fängen blutiger Orgien. Sie starb wieder und wieder in einer Kaskade von Jahren, aber sie ging weiter.
Endlich erreichte sie erschöpft das Ende. Das Torhaus glitt in einem Nebel an ihr vorbei. Der Turm der Speerbrücke ragte über ihr auf, ein Monolith aus schwarzem Basalt. Verloren in ihren verfluchten Visionen, hatte sie ihn überhaupt nicht bemerkt. Wäre sie ein Feind gewesen – wäre irgendjemand übrig gewesen, u m diesen Turm zu bemannen –, hätten seine Bogenschützen sie ungestraft durchlöchern können. Wenn das Torhaus verschlossen gewesen wäre, hätte sie nirgendwohin fliehen können.
Hinter dem Torhaus gabelte sich die Straße. Rings umher wechselten Colisons Männer auf den Wagen die Plätze und ließen neue Fahrer auf den Kutschbock, während die alten sich die Beine vertraten. Sie erkannte Colisons Handschrift darin. Wechselnde Aufgaben halfen ihnen, das abzuschütteln, was sie gerade ge sehen hatten. In wenigen Stunden, vermutete Asharre, könnt en diese Männer vielleicht wieder scherzen und lachen. Sie hatten es schon früher durchgemacht. Sie fragte sich, ob die Celestianer sich genauso schnell erholen würden – oder ob sie es täte. Die Gräuel, deren Zeuge sie geworden war, schienen wie ein öliger Film an ihrer Haut zu haften.
»Wir werden von hier aus die Weststraße nehmen. Führt den Berg hinunter. Die Oststraße windet sich zur Festung empor. Es gibt keinen Grund, warum wir in diese Richtung gehen sollten. Näher werden wir ihnen nicht kommen.« Colison musterte sie eingehend, ein unausgesprochenes Mitgefühl in den Augen. »Geht es Euch gut?«
Asharre nickte, denn sie traute sich nicht zu sprechen. Er beobachtete sie noch ein Weilchen länger, denn er glaubte ihrer Beteuerung nicht ganz, dann ging er fort, um Ordnung in den Rest der Karawane zu bringen. Kurz nachdem Colison in dem Gewirr von Wagen und Ochsen verschwunden war, kam Hera dion von der Brücke. Der rothaarige Junge ließ die Arme auf eine Weise baumeln, wie es Betrunkene taten, wenn sie den Drang abschüttelten, auf etwas einzuschlagen.
»Warum?«, fragte Heradion, die Stimme voller wütender Ungläubigkeit. »Warum wurde dieses Ding gemacht? Warum hat man diese Erinnerungen in der Zeit gefangen?«
Asharre sah zu den Zinnen des Turms der Speerbrücke hinauf. »Die Pfeile. Du wärest eine leichte Beute für die Bogenschützen gewesen.«
»Es ist mehr als das«, sagte Falcien. Asharre hatte ihn nicht näher kommen hören. Seine hellbraune Haut war aschfarben, und seine Augen waren von frischen Tränen gerötet, aber die Stimme des Erleuchteten war fest. »Es ist ein Sakrament ihres Gottes. Jeder dieser Tode war ein Akt der Huldigung, ein Geschenk, das den Eisengekrönten gut genug gefiel, um in
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