- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
Rebekka hatte eine einzige Nachricht geschrieben. Der Empfänger lautete anonyme_quelle . Jetzt, als ihr Verrat offen vor ihm lag, erkannte Meph, wie sehr er gehofft hatte, sich zu täuschen.
Neben sich hörte er ein Geräusch, das er nicht kannte. Nicht kennen konnte – im PC-Baang ging niemand barfuß. »Komm ins Bett«, murmelte Rebekka. Sie war nur halb angezogen, und Meph begriff mit zynischer Klarheit, dass sie ihm damit einen Gefallen hatte tun wollen. Bis vor einer Minute hätte er sich darüber gefreut.
»Ich weiß, was du getan hast«, sagte er tonlos.
»Was ich getan habe?« Sie kam näher. Als sie bemerkte, welches Pad er benutzte, erschrak sie. »Was machst du da?«
»Ich hatte keine Wahl. Ich musste die Wahrheit wissen.«
Zwei kraftvolle Schritte, dann war sie bei ihm und entriss ihm das Pad. Meph sah reglos zu, wie sich ihre Verständnislosigkeit in Unglauben verwandelte, dann in Bestürzung.
»Du hast meine Identität gestohlen!« Ihre Stimme zitterte. »Wie … Wie kannst du so etwas tun?«
»Das IKM schert sich auch nicht darum, was richtig und falsch ist«, schleuderte er ihr entgegen.
»Aber dem IKM ist es egal, dass ich Cat Tail Girl bin!«
Er sah sie verständnislos an. »Was?«
»Jetzt tu nicht so!«, fuhr Rebekka ihn an. »Du weißt ganz genau, wer ich bin! Du warst doch einer von denen, die das Video weitergeschickt und mich im ganzen beschissenen Netz zum Abschuss freigegeben haben. Aber weißt du auch, wie es sich anfühlt, wenn Klatschreporter Tag und Nacht dein Haus belagern? Wenn dein kleiner Bruder in der Schule verprügelt wird, weil seine Schwester an ein Arschloch geraten ist, das ihr Drogen ins Getränk mischt? Nein, das weißt du nicht, und es war dir auch egal, solange du deinen Spaß hattest. Ich war sechzehn, als du mein Leben ruiniert hast. Sechzehn! Aber das weißt du ja. Ich habe mein echtes Geburtsdatum oft genug in die Kamera gelallt.«
Die Worte hingen wie Tränengas in der Luft. Meph sah Rebekka an, und jetzt, da er wusste, wonach er suchen musste, erkannte er sie endlich. Die knochigen Hüften, die Blinddarmnarbe, der schlaksige Teenagergang, den sie sich als erwachsene Frau zum Teil erhalten hatte – vor ihm stand Ramona Berger. Cat Tail Girl. Nur ihre Gesichter waren verschieden. Rebekkas chirurgisch veränderte Züge waren weniger hübsch als Ramonas, härter, abweisender.
»Du … Du bist Cat Tail Girl!« Er rang noch immer mit der Erkenntnis.
»Hast du meine Geburtsurkunde auf meinem Pod nicht gesehen?«, fauchte sie. »Danach hast du doch gesucht! Aber Ramona existiert nicht mehr. Ich habe ein neues Leben, und das lasse ich mir nicht kaputtmachen. Erst recht nicht von dir, Meph! Erst recht nicht von dir.«
»Was wirst du tun, mich dem IKM ausliefern? Du hast mich doch längst verraten!« Plötzlich schaffte er es nicht mehr, ihrem Blick standzuhalten. Meph fühlte sich ausgelaugt und müde. Alle Menschen logen, jeder verbarg sein Gesicht hinter Fassaden und Mummenschanz, bis keiner mehr wusste, wer er war. Vielleicht hatte Kruppstahl recht gehabt, als er das Ende aller Geheimnisse ausrief. Vielleicht sollte jeder alles wissen, was es über die anderen zu wissen gab. Keine Masken mehr, keine Verschlüsselung, nur schonungslose Wahrheit, und wer dagegen verstößt, bekommt es mit der Gedankenpolizei zu tun.
Ach, Maria …
»Verraten?«, erwiderte Rebekka kalt. »Und ich dachte, du könntest nicht mehr tiefer sinken. Glaubst du, ich wäre mit dir ins Bett gegangen, wenn ich dich hätte verraten wollen?«
»Du warst zwei Stunden länger in der Stadt. Du hast diesem Insider aus dem Ministerium eine Nachricht geschickt. Wenn du mich nicht hintergangen hast, warum dann?«, verteidigte sich Meph, während er gleichzeitig zu ahnen begann, dass er einen entsetzlichen Fehler gemacht hatte.
»Ich wollte dir helfen«, sagte Rebekka verbittert. »Wie dumm von mir.«
Autoscheinwerfer leuchteten zum Fenster hinein und hüllten ihre Gestalt in weißes Halogenlicht. Für einen Moment sah Meph unter ihren Zügen tatsächlich die von Cat Tail Girl durchschimmern. Von Ramona, verbesserte er sich.
Die Scheinwerfer erloschen.
Rebekka wollte etwas sagen, aber Meph legte den Finger so eindringlich an die Lippen, dass sie verstummte. Er rutschte von seinem Stuhl herunter, kroch auf allen Vieren zum Fenster und spähte hinaus. Vor dem Hauseingang stand ein dunkler Audi. Ein Mann stieg aus und sah an der Fassade hinauf. Meph zuckte zurück. Sein Herz hämmerte. Selbst
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