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- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken

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Titel: - Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Radloff
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nicht wahr? In Ihrem Weblog im Internet halten Sie sich nicht zurück mit Kritik an dem Gesetz – und an dem Mann, der es geschaffen hat und der heute ebenfalls bei mir zu Gast ist.«
    »Ja. Auf meiner Seite unter …«, begann Achatius, aber Gianna ließ ihn nicht ausreden.
    »Tempus fugit, Herr Achatius, und schließlich wollen wir auch noch die Anrufe unserer Zuschauer live in die Sendung durchstellen. Bevor wir also Herrn Westphal begrüßen, wollen wir uns in einem kurzen Film seinen Werdegang anschauen.«
    Der Einspieler war wenig mehr als ein Zusammenschnitt der ikonenhaften Bilder von vor drei Jahren. Die pixelige Aufnahme des Tanklastzugs, aufgezeichnet von der Überwachungskamera einer Autowaschanlage in der Karl-Liebknecht-Straße. Schnitt. Die rollende Bombe rast über den Alexanderplatz und in den Fuß des Fernsehturms. Schnitt. Hundert Meter hohe Dieselflammen lecken an der Stahlbetonsäule und bringen die Scheiben des Kugelrestaurants zum Leuchten. Schnitt. Der Turm bricht im Fallen auseinander, und seine schiere Größe verleiht dem Sturz eine perverse Eleganz, die von der getragenen Hintergrundmusik noch unterstrichen wird. Schnitt. Aufprall und Explosion in Zeitlupe. Der Fall sieht nicht halb so spektakulär aus wie eine Katastrophenszene aus Hollywood, obwohl er für fast zweitausend Menschen den Tod bedeutete, oder, wie die Feuilletons behaupteten, gerade deswegen. Schnitt. Weinende Menschen auf dem Ground Zero, die Gesichter friedhofsgrau von Staub und Entsetzen. Dazu »My heart will go on« von Celine Dion.
    Das letzte Gesicht war Westphals. Man hatte ihm die Hände notdürftig verbunden, und seine Augen waren trüb vor Schmerzmitteln und Trauer. Im Grunde waren es diese Bilder gewesen, die ihn vom scheiternden Politiker zum Helden gemacht hatten, rief sich Stephans ins Gedächtnis. Westphal war damals Staatssekretär im Justizministerium gewesen und hatte sich mit seiner Initiative Recht auf Sicherheit so gut wie jeden Juristen in Deutschland zum Feind gemacht. Sein Rücktritt galt schon als beschlossene Sache. Aber dann stand er, der härteste Hund Berlins, vor den Trümmern, in denen zwei Senate des Bundesverfassungsgerichts untergegangen waren, und weinte wie ein Schlosshund. Auf den Bildern menschelte es derart, dass sie ihn ins Herz der Nation katapultierten.
    Einen Tag später übertrug der Bundeskanzler ihm die Untersuchung des Anschlags. Nach nur einer Woche schloss Westphal sie ab und gab Deutschlands Bin Laden einen Namen. Stephans erinnerte sich noch gut daran, wie er zum ersten Mal von Ephraim gehört hatte. Auf eine rätselhafte Art und Weise war das eine Befreiung gewesen. Bis zu dem Anschlag auf den Funkturm hatte er nie an seiner Sicherheit oder an der seiner Familie gezweifelt. New York, Madrid, London, Madrid II – die Bilder der zerfetzten Körper und weinenden Menschen kamen immer von weit weg. Doch an diesem 16. Oktober lernten die Deutschen, dass auch sie verwundbar waren, und sie erstarrten wie Dornröschen. Niemand wusste, wie lange der lähmende Schlaf angehalten hätte, wenn nicht Westphal das Land wachgeküsst hätte, indem er ihm jemanden zum Hassen gab.
    In der Folgezeit ging nichts ohne ihn. Westphal spielte die entscheidende Rolle bei der Neuernennung der Verfassungsrichter, seine Gesetzespakete wurden im Eiltempo durchs Parlament gewunken, und seine Umfragewerte ließen nur den Schluss zu, dass er der nächste Kanzler werden musste. Doch er überraschte aufs Neue, indem auf die Kandidatur verzichtete und sich mit der Leitung des neu geschaffenen Informations- und Kooperationsministeriums begnügte. Der Boulevard titelte: »Jesus und Rommel in einer Person.« Westphals Status als des Volkes Liebling war endgültig gesichert.
    Der Einspieler endete mit Westphals Vereidigung als Minister. Dann strahlte Gianna wieder in die Kamera. »Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir den stillen Wächter über unsere Sicherheit, den schlimmsten Albtraum aller Terroristen und Gefährder. Ein großer Applaus für Bundesinformationsminister Joseph Westphal!«
    In dem tiefen Ledersessel wirkte er klein und verloren. Sein unbewegtes Gesicht hätte eine Maske sein können, nur seine Augen wirkten lebendig: Sie bohrten sich in die Kamera, als könne er durch sie hindurchsehen. Der Kameramann verringerte den Zoom, und die Bewegung erinnerte Stephans an ein zurückweichendes Tier.
    Westphals Applaus wollte nicht aufhören, obwohl Gianna alles versuchte, um ihn zu beenden. Erst

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