- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
Friends weiter.
Rebekka erhielt die Nachricht nicht, aber als sie ihrem Nebenmann aufs Display schaute, sah sie ihn eine MyLife-Seite anwählen. Sie gehörte Martin Effenberger, dem gesuchten Gefährder. Und was die Menschen in atemlose Stille verfallen ließ, war die Tatsache, dass sein Livestream online war.
Die Taschenlampe, die er gefunden hatte, wurde schnell schwächer. Ihr gelber Schein drang nur noch ein paar Schritte weit, ehe ihn die Dunkelheit verschlang. Meph konnte nicht sagen, ob der Gang vor ihm in zehn Metern endete oder in zehntausend.
Er wischte sich Schmutz und Schweiß aus dem Gesicht. Er wusste nicht, wie lange er schon hier stand und lauschte, ob ihm jemand auf den Fersen war. Doch er hörte nichts. Noch hatte er sich nicht in den Maschen des Netzes verfangen, an dem das IKM gerade knüpfte. Andernfalls wäre er längst tot.
Der Mord an Cassandro hatte Meph die Augen geöffnet. Wie hatte er je daran zweifeln können, dass er gar keine andere Wahl hatte, als vor dem IKM davonzulaufen? Jede andere Handlungsoption endete mit Folter oder Tod, oder mit beidem. Die Angst war noch da, aber jetzt lähmte sie ihn nicht mehr. Irgendwo in den Tunneln hatte Meph begriffen, was zu ändern war und was nicht. Er wusste jetzt, dass er weiter davonlaufen musste, koste es, was es wolle.
In den ersten Minuten war er kopflos durch das unterirdische Labyrinth des ehemaligen Bahnhofs Alexanderplatz gerannt. Er hatte Wartungsschächte und Versorgungsgänge benutzt, war auf allen Vieren durch Lüftungsdurchlässe gekrabbelt und da, wo es keinen anderen Weg gab, über mannshohe Schutthalden geklettert. Immer wieder versperrten ihm verschlossene Türen und eingestürzte Tunnel den Weg und zwangen ihn, sich einen anderen Weg zu suchen. Einmal hatte er einen ehemaligen Bahnsteig gefunden, wo Hunderte Ratten die jahrelange Fahrplanunterbrechung genossen. Von hier aus hatte er den Gleisen bis zur nächsten Station folgen wollen, doch die U-Bahn-Tunnel waren zugemauert worden. Zu beiden Seiten des Bahnsteigs endete der Schienenstrang in undurchdringlichen Betonwänden. Meph hatte sich wie auf der kürzesten Bahnlinie der Welt gefühlt; das perfekte Verkehrsmittel für jemanden ohne Ziel.
Von da an begann er, seine Schritte zu planen. Er musste einen Weg an die Oberfläche finden, wenn er sich hier unten nicht verirren und verdursten wollte. Fortan suchte er gezielt nach vertikalen Verbindungsschächten wie dem, den Cassandro ihm gezeigt hatte. In diesen arbeitete er sich von einer Ebene zur nächsten vor, immer weiter nach oben. Je höher er kam, desto vorsichtiger wurde er. Das IKM schickte seine Leute von oben in die Tunnel, und um keinen Preis wollte er ihnen noch einmal in die Hände fallen.
Jetzt stand er in einem Gang, der aussah wie alle anderen, und wusste nicht, in welche Richtung er sich wenden sollte. Und als ob ein zynischer Gott seine Gedanken lesen konnte, erlosch in diesem Moment seine Lampe. Schwärze umgab ihn. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Meph ins Leere und sah nichts als formlose Schemen auf seinen Netzhäuten.
Der Lack fühlte sich in seiner Hand angenehm glatt an. Seine Finger fanden den Einschaltknopf ohne sein Zutun. Das Display des eGalaxy erstrahlte, und sein Widerschein war einladender als ein prasselnder Kamin. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit stahl sich ein kleines Lächeln auf Mephs Gesicht.
Er hatte zwei Empfangsbalken, konnte also nicht mehr allzu tief unter der Oberfläche sein. Das A-Modul meldete ihn ohne sein Zutun im Netz an. Für den Taschenlampenmodus brauchte Meph keine Verbindung, doch bevor er den Log-in beenden konnte, übernahm das Prioritätsprotokoll des IKM die Kontrolle und sorgte dafür, dass sein Pad seine Fahndungsmeldung abspielte, die sich nicht unterbrechen oder beenden ließ.
Mephs Hochgefühl verflog so schnell, wie es gekommen war. Er stand jetzt nicht mehr im Fadenkreuz einer Behörde, sondern eines ganzen Landes. Ihm wurde bewusst, wie lächerlich sein Fluchtversuch war, doch nach dem, was sich in Cassandros Versteck abgespielt hatte, konnte er nicht mehr die Hände in den Schoß legen. Vielleicht hatte der Schattenmensch doch unrecht gehabt, als er sagte, Meph würde sich niemals gegen das IKM stellen. Aber vielleicht tat er es auch nur aus Trotz.
Da er nun Netzempfang hatte, rief er den Stadtplan auf. Laut GPS befand er sich irgendwo unter dem nördlichen Rand des Ground Zero, nicht weit von der Station »Platz des 16. Oktober« entfernt. Meph
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