- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
der nicht vom IKM war. Ehe sie ihm Fragen stellen konnten, tauchte er draußen in die Menge ein.
Mindestens jeder Zweite, an dem er vorbeikam, hatte Mephs Livestream offen. Während er sich langsam vorankämpfte, rief er den Stream auf seinem eigenen Pad auf. Das graue Bild gab noch immer keine Informationen preis; Meph musste das Pad in die Tasche gesteckt haben. Auch die Tonspur konnte von überall innerhalb der Menge stammen. Immerhin gab sie Stephans die Gewissheit, dass sich Meph nicht mehr unter der Erde aufhielt, sondern hier draußen. Dennoch war Meph fürs Erste sicher. Der Platz war flächendeckend mit Kameras bestückt, aber die Gesichtserkennungsalgorithmen waren der Aufgabe, eine einzelne Person in dieser Menge zu identifizieren, einfach nicht gewachsen. Selbst bei gutem Licht waren ihre Ergebnisse fehleranfällig. Hinzu kam, dass die allgegenwärtigen Helmvisiere Teile der Gesichter verdeckten, wodurch den Algorithmen weniger Information zur Verfügung stand. Selbst die immense Rechenleistung der IKM-Computer reichte nicht dafür aus, auch nur jeden Hundertsten auf dem Platz in Echtzeit zu identifizieren.
»Vier Minuten«, meldete Celik in Stephans Ohr. Seit Littek ihn wieder eingesetzt hatte, war er permanent mit dem Kommandoraum verbunden.
»Verstanden.«
Er musste nicht lange warten: Kurz nach Celiks Meldung brach Mephs Livestream ab und setzte wenige Sekunden später wieder ein. An einigen Stellen auf dem Platz wurde gejubelt. Anscheinend kappte Mephs Anonymisierungsmodul alle vier Minuten die Verbindung und meldete sich unter einer anderen Benutzerkennung wieder an. Damit machte es eine Rückverfolgung unmöglich, denn wer immer das Modul konstruiert hatte, wusste über die Erdbeerfeld-Regel Bescheid, die besagte, dass es in der modernen deutschen Netzarchitektur mindestens 250 Sekunden dauerte, die Verbindung zu einem bestimmten Pad zurückzuverfolgen. Das hatte mit Quality-of-Service-Vereinbarungen, Latenzzeiten und derartigen Dingen zu tun; Stephans erinnerte sich nicht mehr an die Details. Er wusste nur noch, dass die Bezeichnung Erdbeerfeld-Regel daher rührte, dass die Mindestdauer, um den Standort eines Benutzers zu bestimmen, genau so lang war wie die Laufzeit von »Strawberry Fields Forever«, nämlich 4 Minuten und zehn Sekunden.
Stephans war sich der Ironie seiner Situation wohl bewusst. Ihm standen Exaflops an CPU-Leistung zur Verfügung, Dutzende von Datendrohnen und ganze Hundertschaften von der Polizei und der Ritter AG. Die Zahl der Überwachungskameras und Mikrofone in der Nähe ging in die Zehntausende. Doch all das reichte nicht aus, um einen einzelnen Mann zu fangen, der seine Flucht live ins Netz speiste. Goliath machte heute keine gute Figur.
Dennoch bezweifelte Stephans nicht, dass Meph gefasst werden würde. Der Platz des 16. Oktober war abgeriegelt, von außen ebenso wie das Innere der Station. Stephans hatte jeden verfügbaren Agenten in die Menge geschickt, um nach Meph Ausschau zu halten. Auch unter den Zivilisten würde früher oder später jemand Meph entdecken und festhalten. Und außerhalb des Platzes wurde unterdessen alles dafür vorbereitet, jeden Menschen auf dem Ground Zero einzeln zu überprüfen. Nicht einmal Mephs plötzliche Popularität konnte ihn noch retten.
Immer noch bekam Stephans eine Mail nach der anderen, deren Betreffzeilen »Liveverfolgungsjagd auf dem Ground Zero« oder »Random – Mann hält IKM zum Narren!« lauteten. Die Nachricht von Mephs Flucht hatte sich wie ein Lauffeuer im Netz verbreitet, und mit seiner kleinen Ansprache war es ihm gelungen, die digitalen Schafe zumindest für den Moment auf seine Seite zu ziehen. Doch das spielte keine Rolle. Mochte diese Jagd auch nicht durch die Technologie, sondern durch den menschlichen Faktor entschieden werden, am Ende würde Stephans den Flüchtigen schnappen.
Über sich hörte er das Knattern von Rotorblättern. Der Helikopter eines Newsblogs hatte sich in den Luftraum über dem Platz gedrängt. Sofort rasten mehrere Hubschrauber des IKMs und der Polizei heran und drängten ihn mit einem präzisen Manöver wieder ab. Es dauerte nicht lange und die Geräusche der Rotoren entfernten sich in verschiedene Richtungen.
Einen Moment später fasste Stephans sich an die Stirn. Dass er darauf nicht gleich gekommen war!
Er verschaffte sich ein wenig Platz in der Menge, damit er sein Siemens in beide Hände nehmen und einen Anruf tätigen konnte. Ein Passant in seiner Nähe musterte ihn
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