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- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken

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Titel: - Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Radloff
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die Stimmung. Niemand wusste, warum das IKM die gesamte Station abgeriegelt und jeden zweiten Nachmittagspendler Berlins zum Gefangenen gemacht hatte. Zwar gab es hier unten Netzempfang, aber die Newsblogs berichteten nur über die Sperrung an sich, Informationen über die Gründe hatten sie keine. Das ließ natürlich viel Raum für Spekulationen. Die Gerüchteküche brodelte, und das Internet hatte das Catering übernommen. Immer neue Erklärungen schwirrten von Pad zu Pad, die von Cyberattacken des chinesischen Netzgeheimdiensts über freigesetzte Milzbranderreger bis hin zu Ephraims leibhaftiger Rückkehr reichten. Jedes dieser Gerüchte war unplausibel, viele absolut hanebüchen. Trotzdem ertappte Rebekka sich dabei, wie sie misstrauisch die Gesichter in ihrer Nähe taxierte, um herauszufinden, ob einer der Umstehenden ein Gefährder sein konnte. Selbst ihr gesunder Menschenverstand wurde vom Gedränge und den reißerischen Spekulationen allmählich zermürbt.
    Um das Trommelfeuer der Nachrichten zu beenden, klappte sie ihr Pad zu. Sie musste es weiter auf Schulterhöhe halten, denn sie hatte keinen Platz, um es sinken zu lassen. Ihre Füße taten weh, und sie hatte Durst. Vergleichbare Anstrengungen kannte Rebekka nur von der Luftwaffe, und sie hatte angenommen, dass sie so etwas mit dem abrupten Ende ihrer Dienstzeit hinter sich gelassen hätte. Offenbar war das ein Irrtum gewesen.
    Sie wünschte, sie hätte eine frühere Bahn genommen oder sich gar nicht erst auf den Weg nach Lichtenberg gemacht. Die Wohnungsbesichtigung war ein Reinfall gewesen. Was die Miete anging, lag das Appartement mehrere Größenordnungen über ihrem Budget, obwohl es nur zwei Räume hatte. Ihre jetzige Wohnung hatte drei, und für eine unehrenhaft entlassene Soldatin ohne Pension waren das in diesen Zeiten entschieden zu viele. Wenn sie nicht bald etwas Billigeres fand, würde sie auf der Straße landen. Andererseits konnte es auf der Straße nicht viel schlimmer sein als hier.
    Am Eingang des Korridors tat sich etwas. Die Atmosphäre veränderte sich, und Rebekka konnte regelrecht sehen, wie sich etwas wellenartig durch die Menge fortpflanzte. Als die Welle Rebekka erreichte, entpuppte sie sich als eine von Mund zu Mund weitergegebene Nachricht. Sie bestand aus lediglich zwei Worten: »Das Netz.«
    Sie fummelte eine Weile herum, bis sie den Deckel ihres Pads wieder hochgeklappt hatte. Ohne dass sie etwas dafür tun musste und ohne dass sie es hätte verhindern können, startete das Gerät einen Videoclip. Helm und Schild des IKM wurden von dem Foto eines blassen Mannes von etwa 25 Jahren abgelöst. Ein Sprecher vermeldete, dass Martin Effenberger unter dringendem Tatverdacht stand, gegen das Antiterror-, das Schwarzspeicher- und noch ein paar andere Gesetze verstoßen zu haben. Sein letzter bekannter Aufenthaltsort war der Platz des 16. Oktober. Jetzt war er flüchtig, aber möglicherweise noch in der Nähe. Um Hinweise wurde gebeten.
    Rebekka konnte gerade noch ein abfälliges Schnauben unterdrücken. Die vom IKM standen auf dem Schlauch, und zwar so sehr, dass sie sich nicht zu schade waren, die Menschen um Hilfe zu bitten, die sie seit einer Stunde unter menschenunwürdigen Bedingungen festhielten. Wobei man das, was sie taten, nicht bitten nennen konnte. »Das IKM weist darauf hin, dass es eine Straftat ist, Informationen zurückzuhalten, die zur Ergreifung des Gefährders dienlich sein können – denn Schweigen gefährdet Leben. Vielen Dank.«
    Das Bulletin verfehlte seine Wirkung nicht. Aufgebrachte Stimmen wurden laut, und viele Menschen sahen sich um, ob der Gefährder neben ihnen stand. Von mehreren Seiten trafen Rebekka feindselige Blicke. Sie wurde rot und sah zu Boden.
    »Hier ist er!«
    »Nein, hier!«
    An mehreren Stellen wurde falscher Alarm gegeben. Es gab Rufe und Gerangel. Eine Frau kreischte.
    Rebekka sah sich besorgt um. Die Menschenmenge stand kurz vor der Explosion. Wenn hier unten Panik ausbrach, würde es Tote geben. Doch dann geschah etwas, das die bedrohliche Situation in Vergessenheit geraten ließ. Wieder breitete sich eine Nachricht aus, aber diesmal pflanzte sie sich nicht von Mund zu Mund fort, sondern nach einem zufälligen Muster, das nichts mit dem Standort des Empfängers zu tun hatte. Rebekka brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass es eine Nachricht aus dem Netz war. Wer sie auf seinem Pad erhielt, reagierte erst mit Unglauben, dann mit Erstaunen und leitete sie als Drittes an all seine

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