- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
Ausnahmezustand. Nein, mir geht es … Hör zu, ich muss jetzt wirklich aufhören. Ich dich auch.«
Er unterbrach die Verbindung, nahm das Headset aus dem Ohr, obwohl bereits der nächste Anruf summte, und gönnte sich den Luxus, den Kopf an die kühle Metallwand zu legen. Der Tag war eine Tortur gewesen, und der schlimmste Teil stand ihm noch bevor. Er sehnte sich nach Ruhe, aber sein Gehirn war wie eine übersättigte Salzlösung, in der sich Gedanken und Bilder wie Kristalle am Boden sammelten. Stephans brauchte Dienstschluss, oder wenigstens eine reizarme Umgebung.
»Was ist denn hier los?«
Stephans blinzelte. In den widerspiegelnden Wänden der Leichenkammer runzelten mehrere Litteks die Stirn. Das Original hatte sich vor dem Kommissar aufgebaut und sagte vorwurfsvoll: »Der Herr Minister und ich warten auf Sie. Stehen Sie nicht herum!«
»Ich brauchte einen Augenblick, um meine Gedanken zu sortieren. Der Tag war lang.«
»Nicht nur Ihrer. Kommen Sie!«
»Entschuldigen Sie«, rief Stephans Littek nach, der schon wieder auf Westphals Büro zustrebte. »Können Sie mir eventuell mit einer Rize aushelfen?«
Seine Worte wurden vom Zischen der Druckluftzylinder übertönt, als Westphal von innen die Tür entriegelte. Littek zog sie auf und nickte ins Innere, bevor er sich noch einmal zum Kommissar umdrehte. »Was haben Sie gesagt?«
»Gar nichts.« Stephans löste sich von der Wand und folgte ihm.
Wie beim letzten Mal saß Westphal steif aufgerichtet hinter seinem Tisch, doch heute machte er aus seiner Stimmung keinen Hehl. Er war sauer. Angesichts der Ereignisse hatte Stephans nichts anderes erwartet, und darum überraschte es ihn, dass er im Gesicht des Ministers außerdem einen Anflug von Kummer erkennen konnte.
Westphal legte los, ehe Stephans Hintern den Sessel berührte. »Ich will einen Überblick über den aktuellen Stand der Dinge!«
Littek überließ Stephans das Wort, und er berichtete: »Der Platz des 16. Oktober ist weitgehend geräumt, Herr Minister. Die Zahl der Verletzten ist auf dreiundfünfzig gestiegen. Bislang gibt es keine Toten, und es sieht so aus, als würde sich daran auch nichts mehr ändern. Die Netzversorgung in Mitte ist wiederhergestellt. Das Gleiche gilt für den Schnellbahnverkehr, wenngleich in eingeschränkter Form, bis die Spurensuche im Bahnhof abgeschlossen ist.«
»Was ist mit Effenberger?«
»Wir haben ein dichtes Netz von Straßensperren eingerichtet, welches das gesamte Stadtgebiet abdeckt. Bahnhöfe, Flughäfen und Bus-Terminals werden gezielt überwacht, ebenso sämtliche bekannten Kontaktpersonen.«
»Nicht zu vergessen die Suchmeldungen, die alle 60 Minuten über den Prioritätskanal ausgestrahlt werden«, ergänzte Littek. »Jedes Pad im Land zeigt sein Gesicht.«
»Mit anderen Worten, er läuft immer noch frei herum und Sie haben keine Ahnung, wie Sie ihn finden sollen«, knurrte Westphal. »Ich muss Ihnen hoffentlich nicht erklären, in welch unangenehme Situation Sie uns manövriert haben. Haben Sie völlig den Verstand verloren? In Ihrem Interesse hoffe ich, dass Sie eine gute Begründung haben für das, was heute da draußen passiert ist!«
Stephans entging nicht, dass Westphal offen ließ, ob seine Vorwürfe an beide Männer gerichtet waren oder nur an einen von beiden, aber Littek bezog sie auf sich. »Herr Minister, lassen Sie mich betonen, wie außerordentlich leid es mir tut, dass die Operation nicht zu Ihrer Zufriedenheit durchgeführt wurde. Es versteht sich von selbst, dass ich alles in meiner Macht Stehende tue, um den Schaden einzudämmen, der dem Ministerium als Institution entstanden ist. Sie können sich sicher sein, dass …«
»Es geht hier nicht um Institutionen«, erwiderte Westphal gereizt. »Sie haben einen Gefährder entkommen lassen, der unter gezielter Überwachung stand, und danach haben Sie die halbe Stadt lahmgelegt und ihn trotzdem nicht geschnappt. Können Sie mir das erklären?!«
Littek wand sich auf seinem Stuhl. »Es ist noch zu früh, um die Ursachen einwandfrei zu benennen. Erst wenn wir die Ereignisse vollständig rekonstruiert haben, können wir zweifelsfrei sagen, warum die Operation nicht den optimalen Ausgang genommen hat. So ist es zum jetzigen Zeitpunkt nicht auszuschließen, dass Effenberger Hilfe von einer weiteren Partei erhielt.«
»So? Und von wem?«
»Denkbar ist eine Organisation von Schattenmenschen, die wie Cassandro im Untergrund leben, aber bisher noch nicht in Erscheinung getreten sind. Wie
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