Schwarzwaelder Dorfgeschichten
es sich in den Stadtkleidern nicht verkältet, es ist nicht dran gewohnt, und lasset ihm ein Fleischsüpple kochen, wo Ihr über Nacht bleibet, es muß sie essen, es muß, es hat heut noch keinen Bissen über's Herz bracht und ... und denket auch oft an Eure Mutter im Himmel ... und b'hüt Euch Gott.«
Mit Lorle selbst sprach die Mutter fast gar nichts mehr, sie streichelte nur immer den schönen Mantel, den sie über hatte, und fragte: »Hast auch warm? Nimm dich nur in Acht, es wird kühl gegen Abend, besonders im Fahren.«
Lorle nickte bejahend, sie konnte nichts mehr reden.
Jetzt rief der Wadeleswirth: »Stephan! bring' noch ein' Butell Altweiberwein auf den Gaul. Ich bring' dir's Professor, trink, und Lorle trink auch, du mußt.«
»Ja,« sagte die Mutter, »trink, es g'wärmt.«
Lorle mußte zuletzt noch trinken, eine Thräne fiel in das Glas.
Nun wurde sie in das Wägelchen gehoben und als Reinhard eben auch hinaufwollte, gab ihm der Wadeleswirth noch einen derben Schlag und sagte:
»Mach', daß du fortkommst, du Lump, du schlechter Kerle, du Heidenbub, nimmst mir mein Mädle mit fort.«
Das waren lauter Liebkosungen und Lorle mußte unter Thränen lachen.
»Jetzt hü! in Gottes Namen, fahr zu!« rief der Wadeleswirth.
Die Musikanten, die bisher still zugeschaut hatten, spielten einen lustigen Marsch und fort rollte das Wägelchen ...
Wer je dabei stand, wie ihm ein Liebes entführt wurde und die ganze Seele drängt sich den Entfernenden nach, der mag mitfühlen wie es den Eltern zu Muthe war als ihr Kind dahinzog. Die Mutter stand da und ihr war's als wanke der Boden unter ihr, als werde sie ebenfalls fortgezogen und nichts stehe mehr fest; ihr Kind, das sie unter dem Herzen getragen, über das ihr Auge wachte, so manches Jahr, in stillen Nächten wie im Lärm des Tages, dahin, dahin – und doch hielt sie die Hand festgeschlossen, als fasse sie ihr fernhinziehendes Kind an einem Geistesbande. Endlich schrie sie laut auf und fiel ihrem Mann um den Hals. Alles sah gerührt auf die Beiden. Der Pfarrer bemühte sich, die Trauernden durch Trostesworte aufzurichten; die Mutter wendete ihm ihr thränennasses Antlitz zu und schüttelte den Kopf verneinend, der Wadeleswirth aber sagte: »Das ist jetzt Alles gut, ja, ja, aber da könnet ihr nicht mitreden, Herr Pfarrer, das könnet Ihr nicht wissen, was das heißt, ein Kind, sein Kind weggeben.«
Der Pfarrer schwieg.
»Komm 'rein Alte,« sagte der Wadeleswirth nun, seine Frau unter'm Arm fassend, was er fast nie that, »komm, jetzt müssen wir uns halt wieder allein gern haben. Von Anfang wie wir gehaust haben, haben wir keine Kinder gehabt und jetzt haben wir bald wieder keine daheim, komm, wir wollen noch ein Tänzle machen. Spielleut', hellauf!«
In der Wirthsstube war der Wadeleswirth froh, seinen Gram in Zorn verwandeln zu können; er schimpfte auf die neue Mode, daß man alsbald nach dem Hochzeitstisch wegfahre und den Tanz allein lasse: »das ist ja wie ein Kindbett ohne Kind,« sagte er immer.
Lorle war indeß mit Reinhard rasch dahingefahren ohne sich umzuschauen, sie hielt sich fest am Wagensitz, es war ihr als ob sie jetzt zum Erstenmal in ihrem Leben auf einem Wägelchen sitze: da steigt man auf ein hohes Gestell und läßt sich fortrollen und bewegt sich nicht selber. »Wir fahren fort« – sagte sie zu Reinhard, er wußte nicht was das zu bedeuten habe.
Vor dem Dorfe saß Wendelin mit seinem Käfig am Wegraine. Als die Hochzeitsleute ihm nahe kamen, nahm er den Vogel heraus und hielt ihn hoch hinauf den Fahrenden hin. War's freiwillig oder von ungefähr? Der Vogel entwischte der Hand und flog davon, Wendelin kehrte mit dem leeren Käfig heim.
Wortlos fuhr das junge Ehepaar dahin, Lorle hatte so viele Gedanken, daß sie eigentlich keinen bestimmten hatte. Als man jetzt an der Steige hielt, wo gesperrt wurde, sagte sie: »Fahr' nur stet, Martin. Warum hast du denn den Rappen eingespannt, der geht ja nicht gern in der Lanne? Komm Reinhard, wir wollen auch absteigen.«
»Wollen wir nicht lieber sitzen bleiben? Doch, wie du willst.«
Reinhard sprang vom Wägelchen, er half nun auch Lorle und hielt sie eine Weile auf beiden Händen frei in der Luft, bis sie rief: »So laß mich doch auf den Boden.«
Im Weitergehen sagte Reinhard: »Wie ich dich frei in der Luft gehalten, so habe ich dich hinweggehoben von deinem Boden; ich allein halte dich, du bist mein, von allen Menschen der Welt, vor Allen.«
Lorle wußte nicht recht, was er damit
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