Schwarzwaelder Dorfgeschichten
ließen.
Am dritten Abend, vom Dreikönig in Basel aus, machte sich Martin auf den Heimweg. Tief im Herzen weh that Lorle diese letzte Trennung von ihrem eigenen Wägelchen, vom Rapp und besonders vom Martin und sie sagte: »Viel tausend Grüß' an Alle daheim, so viel Grüß' als nur auf den Wagen gehen und der Rapp ziehen kann.«
Während Lorle dem Wegfahrenden nachtrauerte, sagte Reinhard, sie tröstend: »Sei fröhlich, laß die ganze Welt hinter dir versinken; ich habe dich herausgetragen aus dem Strom des gewohnten Lebens, wir sind allein, ganz allein. Denk jetzt nicht mehr heim.«
Heute zum ersten Mal speisten sie auch an der öffentlichen Wirthstafel. Reinhard wollte Lorle zerstreuen, und doch ward er übellaunig, als ihm dies gelang. Lorle's Tischnachbar, ein lustig aussehender junger Mann, sagte zu ihr: »Sie sind gewiß eine fertige Clavierspielerin, gnädige Frau?«
»Ei warum?«
»Die Clavierspielerinnen gebrauchen die linke Hand wie die rechte, sie reichen sie oft beim Gruße.«
»Nein, ich kann nicht Clavier spielen, wir haben aber daheim ein eigen Clavier; mein Vater hat gewollt, ich soll's lernen, ich hab' aber kein' Geduld gehabt und hab' mich auch geschämt, so nichts zu thun. Das ist blos eine üble Angewohnheit von mir mit der linken Hand.«
Der junge Mann war äußerst verbindlich und verwickelte Lorle bei jedem frischen Gerichte in ein neues Gespräch, so sehr sich auch Reinhard Mühe gab, selber das Wort zu ergreifen und Lorle an sich zu ziehen; der Fremde hatte alsbald wieder Lorle zum Reden gebracht und machte sie oft laut lachen. Reinhard war fest überzeugt, daß der Fremde sich über sie lustig mache, obgleich er eigentlich keinen Grund dafür angeben konnte, er war voll Zorn und fand doch keine Gelegenheit ihn auszulassen. – Auf dem Zimmer bedeutete er dann Lorle, daß es sich für eine Frau nicht schicke, an einer öffentlichen Tafel so laut zu lachen, und daß es überhaupt nicht passe, mit jedem Nachbar zu reden. Gegen letzteres wehrte sich Lorle, sie behauptete, wenn man mit Jemanden von Einer Schüssel esse, müsse man auch mit ihm reden, sie habe im Gegentheil die Anderen bemitleidet, die für sich gegessen hätten, wie ein Krankes auf seinem einsamen Bette. Daß sie sich das Linkische abgewöhnen solle, gab sie zu, obgleich Reinhard das früher so schön gefunden habe.
»Bist du mir nun bös?«
»Ach Gott im Himmel, warum denn? Du bist ja so gut.«
»Du mußt auch Manches an mir ändern, mußt mir nicht nachgeben; wir wollen uns vornehmen, einander zu bessern.«
»Nichts so vornehmen, gradaus sein,« entgegnete Lorle. Sie konnte sich nicht leicht eine Norm und Richtschnur machen, sie lebte und handelte aus der Sicherheit ihres Naturells; während Reinhard, von den besten Anflügen erfaßt, sich das Edelste vorsetzte, dabei aber doch meist, wenn's drauf und dran kam, aus der augenblicklichen Stimmung handelte.
Nun ging's hinein in die Pracht der Alpenwelt.
Beim Alpenglühen rief Lorle einmal aus: »Reinhard, sag', ist's denn im Himmel schöner?«
»Gutes, herziges Kind, das kann ich auch nicht wissen.«
»Nicht Kind sagen,« bemerkte Lorle.
»Nun denn, Engel, ja du bist's; ich weiß nun wie's im Himmel ist, ich bin bei dir.«
Die untergehende Sonne überglühte zwei selig Umschlungene.
Reinhard hatte eine willige Zuhörerin, indem er nun auf den Wanderungen die Schönheiten der Natur und die malerischen Gesichtspunkte erklärte; Lorle hörte ihn immer gern sprechen, auch wenn sie ihn nicht ganz begriff. Bisweilen machte sie auch eine Abschweifung, indem sie ihn auf den Stand der Kartoffeln aufmerksam machte und wie die Ochsen ganz anders eingespannt seien als daheim. Schnitten solche Anmerkungen auch oft eine begeisterte Auseinandersetzung entzwei, so nahm Reinhard sie in Geduld wieder auf. Eine Eigentümlichkeit offenbarte sich bei diesen Auseinandersetzungen: Reinhard hatte bis jetzt durchaus im Dialekt mit Lorle gesprochen, zwar ohne Vorsatz, denn es ergab sich von selbst, auch war ihm wohl und heimisch dabei; nun aber war's ihm oft, als hätte er mit seiner Seele eine Fastnachtsmummerei vorgenommen, es war ihm ein fremdes Kleid für den Werktag, er fühlte, daß die ganze Welt der Reflexion, der Allgemein-Gedanken, keine rechte Heimath im Dialekte hatte; alles Persönliche konnte er darin kundgeben, aber nichts was darüber hinausging. Er bat daher auch Lorle, sich nach und nach mehr an das Hochdeutsche zu gewöhnen und sie versprach's willfährig; sie sah
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