Schwarzwaelder Dorfgeschichten
mehreren andern Geistlichen durch das Dorf. Alle Leute, die vor den Häusern saßen, standen auf und grüßten freundlich; die ältern Frauen lächelten dem jungen Pfarrer zu, wie wenn sie sagen wollten: »Wir kennen dich und haben dich gern; denkt dir' s noch, wie ich dir eine Birn' geschenkt hab'? Und ich hab's ja schon lang gesagt, der Gregor wird ein großer Mann.« Die jungen Burschen zogen die Pfeifen aus dem Munde und die Mützen ab, und die Mädchen flüchteten sich unter ein Haus und stießen einander und blickten verstohlen heraus. Die Kinder aber kamen herbei, gaben dem Gregor die Hand und küßten die seinige.
Auch Ivo kam herbei. Der junge Geistliche mochte vielleicht das Zittern des Knaben und seinen andächtig frommen Kuß herausfühlen, er hielt seine Hand noch länger, strich ihm mit der andern Hand über die Wange und sagte:
»Wie heißt du, liebes Kind?«
»Ivo.«
»Und dein Vater?«
»Der Zimmermann Valentin.«
»Sag einen schönen Gruß von mir an deinen Vater und deine Mutter und sei recht fromm und brav.«
Ivo stand noch lange wie festgezaubert da, als die Männer schon längst fort waren, es war ihm, als ob ihm ein Heiliger erschienen wäre und mit ihm geredet hätte. Er blickte lange staunend zur Erde, dann eilte er in großen Sätzen jubelnd nach Hause und erzählte Alles.
Die ganze Familie saß auf dem Bauholze unter dem Nußbaume, der Nazi nicht weit davon auf einem Steine an der Hausthür. Ivo ging zu ihm und berichtete auch ihm seine Begegnung, der Knecht aber war heute mürrisch, und Ivo setzte sich zu Füßen seines Vaters nieder.
Es war Nacht geworden, man sprach wenig, nur der Schreiner Koch sagte noch:
»Ich will sehen, wo Ihr Geld krieget unter fünf Prozent.« Niemand antwortete.
Ivo blickte einmal zu seinem Vater auf, aus seinem Auge leuchtete eine stille Verklärung, niemand konnte ahnen, was die junge Seele bewegte.
»Vater,« sagte Ivo, »schlaft denn des Schneider Christle's Hajrle auch wie andere Menschen?«
»Ja, aber nicht so lang wie du; wenn man Hajrle werden will, muß man früh aufstehen und beten und lernen. Gang jetzt, marsch in's Bett.«
Die Mutter begleitete Ivo in's Haus, und in sein Nachtgebet, das er ihr vorsagte, schloß er freiwillig neben den namhaft gemachten Verwandten auch den Hajrle ein.
Die Primiz hatte die unmittelbarsten Folgen. Gleich andern Tages ging der Hansjörg, den wir noch von der Kriegspfeife her kennen, mit seinem Sohne, Peter, nach Horb zum Kaplan; auch der reiche Johannesle von der Bruck, der den Beinamen der Schmutzige hatte, brachte seinen Constantin, einen aufgeweckten, gescheiten Buben, zum Kaplan. Die beiden Knaben sollten fortan die lateinische Schule besuchen, Ivo war hierfür noch zu jung. –
Wir treffen die beiden andern Knaben wohl später wieder, jetzt bleiben wir beim Ivo und wollen sein ganzes Jugendleben möglichst genau beobachten.
Fußnoten
1
Primitiae,
latein. Anfang.
2 Herrlein, Pfarrer.
3 Hauserin, Haushälterin.
2.
Der Lehrer.
Der Lehrer im Dorfe war ein heller Kopf, dabei aber heftig; seine Neigung und sein Haupttalent war die Musik. Er hatte wenig Einfluß auf Ivo, wie dieß ein einzelner Mann bei hundertzwanzig Kindern auch sonst nicht wohl haben konnte. Der beste Lehrer Ivo's, wer sollte es denken! war der Nazi, der nicht schreiben und kaum lesen konnte.
Man nennt bei uns die Dienstboten »Ehhalten«, was ihre Bedeutung gar schön bezeichnet, und wie man sie schon in der Stadt das Unterschicksal des Familienlebens nennen kann, so sind sie das noch weit mehr im Dorfe, wo das ganze Leben des Hauses ein in Arbeit und Genuß gemeinsames ist. Weil nun in einer guten Haushaltung die Eltern und das Gesinde friedlich zusammenleben, kann man um so gefahrloser die Kinder den Einflüssen des Gesindes überlassen, da man sie genau kennt.
Bei dem Nazi aber war gewiß nichts zu gefährden. Auf der Krippe und im Heuschober errichtete Nazi seinen Lehrstuhl, antwortete auf die eifrigen Fragen seines Zöglings oder erzählte ihm wunderbare Geschichten.
Nazi war am liebsten mit den Thieren zusammen, und wenn er auch mit ihnen reden konnte, und wenn besonders das Falb Menschenverstand hatte, man konnte doch keine rechte Antwort bekommen, so viel man auch redete; der Ivo aber konnte doch wenigstens einmal die Hände zusammenschlagen und »Ei Herr Jerem« rufen. So hatte Nazi den Knaben gern bei sich. Wie ein Füllen neben dem im Wagen eingespannten Pferde los und ledig einherrennt und
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