Schwarzwaelder Dorfgeschichten
der Koanradle seufzte, aber er sah nicht auf; da faßte der Pfarrer alle seine Kraft zusammen, seine Stimme dröhnte wie die eines strafenden Propheten, er schilderte ihnen, wie sie nach ihrem Tode vor den Richterstuhl des Herrn kommen, und der Herr ruft: »Wehe! Wehe! Wehe! ihr habt verstockten Herzens in Haß gelebt, ihr habt die Bruderhand einander entzogen, gehet hin aneinander geschmiedet, verschmachtet ewig in der Hölle.«
Alles war stille, der Koanradle wischte sich mit seinem Aermel die Thränen ab, dann stand er auf und sagte: »Michel!«
Der Angeredete hatte seit so vielen Jahren diesen Ton nicht gehört, daß er plötzlich aufschaute, und der Koanradle trat näher und sagte: »Michel, verzeih!« – Die Hände der Brüder lagen fest in einander, die Hand des Pfarrers wie segnend darauf.
Alles im Dorfe schaute auf und freute sich, als man den Michel und den Koanradle Hand in Hand den kleinen Hügel am Rathhause herunterkommen sah.
Bis nach Hause ließen sie ihre Hand nicht los, es war, als ob sie die lange Entbehrung einbringen müßten. Zu Hause aber rissen sie schnell die Hängeschlösser ab; dann gingen sie in den Garten und stürzten den Zaun um; so viel Kohl auch dabei zu Grunde ging, dieß Zeichen der Zwietracht mußte fort.
Dann gingen sie zu ihrer Schwester und aßen an einem Tisch nebeneinander.
Nachmittags saßen die beiden Brüder in der Kirche, und ein jeder hielt eine Seite von dem Gesangbuche der Mutter in der Hand.
Ihr ganzes Leben ward fortan wiederum ein einiges.
Fußnoten
1 Vier.
VII.
Ivo, der Hajrle.
1.
Die Primiz.
An einem Samstag Nachmittage wurde auf der Hochbux emsig gezimmert und gehämmert. Der Zimmermeister Valentin schlug mit seinen beiden Söhnen ein Gerüste auf, das nichts weniger war, als ein Altar und eine Kanzel. Des Schneider Christle's Gregor sollte hier morgen seine Primiz 1 halten, so nennt man nämlich die Feier des ersten Meßopfers und die erste Predigt eines neugeweihten Geistlichen.
Ivo, der kleinste Sohn Valentins, ein blonder Knabe von sechs Jahren, half seinem Vater mit wichtiger Miene bei der Arbeit. Barhaupt und barfuß kletterte er behend wie ein Eichhorn auf dem Gebälke umher, bei jeder Hebung eines Balkens schrie er gleichfalls: Holz her! stemmte sich an und schnaufte, als ob er das meiste dazu vollbringe. Valentin gab dem kleinen Ivo auch sonst immer »etwas zu schaffen«; er mußte den Bindfaden auf die Spule wickeln, das (Handwerks-) »Geschirr« zusammentragen, oder die Späne auf einen Haufen sammeln. Mit einem Ernst und mit emsigen Gebärden, als ob er das größte Werk vollführe, befolgte Ivo seinen Auftrag, und als er einmal als Beschwerungslast auf die Spitze eines schwanken Balkens sitzen mußte, zitterten ihm die Bewegungen der Säge so durch alle Glieder, daß er beständig laut auflachen mußte und fast herunterfiel; er hielt sich aber fest und bemühte sich, sein gewichtiges Amt still zu vollziehen.
Das Gerüste war endlich fertig. Der Sattler Ludwig war bereit, die Teppiche anzunageln. Ivo wollte ihm gleichfalls dabei helfen, aber der barsche Mann jagte ihn fort, und Ivo setzte sich still auf die zusammengelesenen Späne und schaute hinaus nach den jenseitigen Bergen, über denen die Sonne glühendroth unterging. Da hörte er den Pfiff seines Vaters, er sprang auf und eilte zu ihm.
»Vater,« sagte Ivo, »wenn ich nur einmal in Hochdorf wär'.«
»Warum?«
»Gucket, das ist ganz nah beim Himmel, und da möcht' ich einmal 'naufsteigen.«
»Du dummes Kind, das ist nur so, wie wenn dort der Himmel aufstehen thät; hinter Hochdorf ist noch weit bis Stuttgart, und von da ist es auch noch weit bis in den Himmel.«
»Wie weit?«
»Man kann eben nicht hinkommen, bis man todt ist.«
Seinen kleinen Sohn an der rechten Hand führend und am linken Arm das Handwerkszeug tragend, ging Valentin durch das Dorf. Ueberall wurde gescheuert und gewaschen, die Stühle und Tische standen vor den Häusern; denn jedes erwartete zu der heiligen Handlung auf morgen einen Besuch aus einem nahen oder entfernten Dorfe.
Als Valentin an des Schneider Christle's Haus vorüber ging, langte er an seine Mütze, bereit, sie abzuziehen, wenn jemand heraussähe; aber es sah niemand heraus, das ganze Haus war so still wie ein Kloster. Einige Bauernweiber gingen mit Schüsseln unter den Schürzen in das Haus, andere kamen mit leeren Schüsseln unterm Arme heraus; sie begrüßten sich still; sie hatten die Hochzeitsgeschenke für den
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