Schwarzwaelder Dorfgeschichten
die Kanzel. Ivo saß nicht weit davon auf einem Schemel; den rechten Arm auf das Knie gestemmt und das Kinn auf die Hand gelehnt, horchte er eifrig zu. Er verstand wenig von Allem, aber sein Blick hing an den Lippen und den Mienen des Predigers, die so treuherzig sprachen, und sein Sinn war kindlich und liebend bei Gott und dem guten Hajrle.
Als darauf unter abermaligem Geläute der Glocken und den Siegestönen der rauschenden Musik der Zug sich wieder heim nach der Kirche bewegte, da faßte Ivo das Kruzifix mit beiden Händen fest; es war, als ob er mit erneuter Kraft seinen Herrgott vor sich hertragen wollte.
Unter der Menge, die sich nun zerstreute, sprach Alles mit Entzücken von dem Hajrle, und wie glücklich die Eltern eines solchen Sohnes zu preisen wären. Der Schneider Christle und seine Frau gingen, von seliger Lust getragen, die überdachte Treppe an dem Kirchberg herab. Man achtete doch sonst wenig auf diese Leute, heute aber drängte sich Alles mit ausnehmender Verehrung zu ihnen, um ihnen Glück zu wünschen. Die Mutter des jungen Pfarrers dankte mit thränenverklärten Blicken, sie konnte vor seligem Weinen nicht reden. – Ivo hörte von seiner Base aus Rexingen, die zu der heiligen Handlung herübergekommen war, daß die Eltern Gregor's diesen nun mit Sie anreden müßten.
»Ist das wahr, Mutter?« fragte er.
»G'wiß, der ist jetzt mehr, als andere Menschen,« lautete die Antwort.
Bei allem Entzücken blieb auch der wirkliche Vortheil des Schneider Christle's nicht unbesprochen. Man sagte, der habe nun ausgesorgt für sein ganzes Leben; das Kordele, des Gregor's Schwester, werde »Hausere« 3 , und der Gregor sei ein Glück für die ganze Familie und eine Ehre für das ganze Dorf.
Zwischen seinen Eltern, von beiden an der Hand geführt, ging Ivo nach Haus.
»Vater,« sagte er, »der Gregor sollt' hier Pfarrer sein.«
»Das geht nicht, man macht nie einen zum Pfarrer, wo er geboren ist.«
»Warum?«
»Mit deinem ewigen dummen Warum! Weil's eben so ist,« entgegnete Valentin. Die Mutter aber sagte: »Er hätt' sonst zu viel Anhang im Dorf und wär' nicht unparteiisch.«
Entweder wußte sie es nicht oder konnte sie dem Kinde nicht erklären, daß bei einem Ortsangehörigen die Heiligkeit des Amtes und die Ehrfurcht vor der Person des Priesters beeinträchtigt würde, da man seinen menschlichen Ursprung und sein Wachstum kennt.
Valentin aber sagte nach einer Weile:
»Das best' Leben hat doch so ein Pfarrer. Er kriegt keine Schwiele in die Hand vom Pflügen und kein Rückenweh vom Schneiden, und die Pfarrscheuer ist doch voll Frucht; er legt sich aufs Kanapee hin und denkt sich sein' Predigt aus und macht seine ganze Familie glücklich. Ivo, wenn du brav bist, kannst du auch Hajrle werden. Möchtest du gern?«
»Ja,« sagte Ivo mit voller Stimme und schaute mit weit aufgerissenen Augen nach seinem Vater auf, »aber Ihr dürfet nicht Sie zu mir sagen,« setzte er dann hinzu.
»Das hat noch gute Weil',« erwiederte Valentin lächelnd.
Nach dem Mittagessen stellte sich Ivo hinter dem Tisch auf die Bank, dort in die Ecke unter dem Kruzifix, wo der Vater gesessen. Zuerst bewegten sich seine Lippen leise, dann hielt er mit lauter Stimme eine Predigt. Mit der ernstesten Miene sprach er das kunterbunteste Zeug, er wollte gar nicht aufhören, bis ihm Valentin freundlich mit der Hand über den Kopf fuhr und sagte: »So, jetzt ist's genug.«
Die Mutter aber nahm den Ivo herab auf ihren Schooß, herzte und küßte ihn und sagte fast weinend: »O liebe Mutter Gottes! ich möcht' nicht länger leben, als daß mich unser Herrgott den Tag sehen ließ', an dem du dein' Primiz hältst;« dann setzte sie kopfschüttelnd und leise hinzu: »Verzeih mir Gott meine Sünden, ich denk' schon wieder zu viel an mich.« Sie stellte ihren Sohn nieder und hielt ihre Hand auf seinem Kopfe.
»Gelt,« sagte Ivo, »und unser Gretle wird mein' Hauserin, und ich laß ihm auch Stadtkleider machen, wie die Pfarrköchin hat?«
Die gute Base Magdalena von Rexingen schenkte dem Ivo einen Kreuzer für seine Predigt. Schnell sprang er dann zu dem Knechte, der vor dem Hause unter dem Nußbaum saß, und erzählte ihm, daß er Hajrle werde. Nazi schüttelte nur mit dem Kopfe und drückte den überquellenden, brennenden Tabak in seiner Pfeife nieder.
Die Mittagskirche war nicht so feierlich und so besucht wie sonst, die Andacht hatte sich heute morgen erschöpft.
Gegen Abend ging der junge Pfarrer mit dem Kaplan von Horb und
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