Schwarzwaldau
Klagelied des unwürdigen und doch vielgeliebten Sängers begleiten? Keine Kerze brannte. Emil weilte im Dunkeln. Er wollte die Schatten nicht verscheuchen, vor denen er sich fürchtete und die er doch festzuhalten trachtete. Auch Caroline gesellte sich zu ihnen. Sie kam in tiefer Trauer, wie eine Witwe. Sie nahm ihre alte Stelle neben Agnes ein und sagte zu dieser: Dein Gatte hat den meinen ermordet.
Diese Anklage rief den Träumer in's wirkliche Leben zurück. Er läutete den Tafeldecker herbei und befragte diesen über die Lage der Dinge in Thalwiese?
»Dort sei die Braut des auf so unerklärliche Weise zu Tode gebrachten jungen Herrn auf Besuch sammt ihren Eltern; und Herr Reichenborn wolle dort bleiben, habe Frau von Thalwiese aus allen Nöthen gerissen, das Gut gekauft und sich mit den Seinigen heimisch gemacht. Mit nächstem Frühjahr solle der Neubau des Schlosses beginnen; Steine und Ziegeln würden fleißig angefahren und so weit der Schwarzwaldauer Vorrath an trocknem Bauholze etwa noch reiche, sei er in Beschlag genommen. Der Förster habe schon das Geld dafür empfangen; denn ohne diese Einnahme hätte der Herr Amtmann unmöglich zusammenkratzen können, was er auf Befehl nach Hamburg senden müssen.«
Emil durchwachte eine gräßliche Nacht. Alle Aengste eines zur Hinrichtung Verurtheilten schwitzte er durch bis in die letzten Krisen kalten Todesschweißes. Caroline seine Nachbarin. Die den Ermordeten so sehr geliebt, daß sie um dieser Liebe willen ihre Freundschaft zu Agnes hingeworfen; die im Zorne von ihnen geschieden, nach zweijähriger Frist den Gegenstand ihrer neidischen Zerwürfnisse endlich erobert, des reichen Vaters Einwilligung errungen, das Ziel heißester Wünsche erreicht hatte . . . . War diese nicht vorzugsweise berufen – und befähigt, ihres Bräutigams Mörder zu entdecken? Berufen durch den Schmerz des Verlustes, befähiget durch Argwohn und Haß, welche Gustav's Geständnisse in ihr vermehrt haben konnten und welche nun ihre Blicke schärfend, sie auf die richtige Spur leiten würden? Er sah sie bei sich eintreten, – aber jetzt an der Spitze eines Zuges von Häschern; hörte sie jenen zurufen: reißt ihn aus dem Bett und fesselt ihn; er ist der Mörder seines Freundes! Waren die Visionen, denen er während der Dunkelstunde nachgiebig und willig Spielraum gegönnt, trotz ihrer grauenhaften Mahnungen dennoch zugleich wohlthätig gewesen, so griff diese nächtliche, gar nicht abreißende, immer wieder auftauchende, qualvoll in des zerstörten Mannes Einsamkeit und trieb ihn zur Verzweiflung. Diese war es denn zuletzt, die ihm gegen Morgen Muth verlieh; – einen Muth freilich, wie ihn der Vogel zeigt, wenn er in der Schlange offnen Rachen flattert. Emil beschloß, nach Thalwiese zu fahren um – einen Beileidsbesuch abzustatten: »Sie kann's nicht verbergen, wenn sie Verdacht gegen mich hegt! Sie kann's nicht verschweigen, wenn sie etwas weiß, worauf ihr Verdacht sich gründet; es kann mir nicht entgehen, was von dort aus vielleicht schon gegen mich im Werke ist; ich will Gewißheit haben! Sei es die Gewißheit des Schaffottes! Lieber diese, als noch eine Nacht wie die vergangene!«
Gegen Mittag fuhr eine Kutsche in den Herrenhof zu Thalwiese und Herr von Schwarzwaldau wurde den Bewohnern des alten, baufälligen Wohnhauses angemeldet.
»Meines Sohnes Wohlthäter!?« rief die, von langem Kummer so zäh gewordene Mutter Gustav's, daß der letzte Schlag sie nicht danieder geworfen; »meines armen Sohnes Wohlthäter; ist er von seinen weiten Reisen wieder da? Nun lern' ich ihn doch auch kennen! Das ist mir lieb.«
Caroline empfing den Gatten ihrer einst geliebten Agnes, wie man Denjenigen um so freudiger begrüßt, der völlig unerwartet eintrifft. Niemand in Thalwiese wußte, sie am Wenigsten, daß Emil nach Beendigung seiner Reisen schon einmal in der Heimath gewesen sei. Er galt für Einen jetzt eben über Hamburg Zurückkehrenden, als er, auf die an ihn gestellte, übliche Frage bei überraschendem Wiedersehen: ›wo kommen Sie her?‹ diese Stadt als letzten Aufenthaltspunct nannte – noch gedankenlos unter dem Einfluß tödtlich-bangender Besorgniß. Doch diese schwand vor Carolinens unbefangener Herzlichkeit. Was zwischen ihnen – (in so fern ihre in Schwarzwaldau erlebten Kränkungen Emil berühren, oder ihn treffen konnten?) vorgefallen, das war längst vergessen und mit Agnes begraben. Sie sah in ihm nur der Freundin Gatten, des Geliebten Freund; den
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