Schwarzwaldau
welche Rechte sie an ihn habe. Auch sie schien Gedanken hingegeben, die nicht der unmittelbaren Gegenwart gehörten; auch sie beschäftigte sich mit Bildern der Vergangenheit, auch in Trauerflor gehüllt, auch von Blut gefärbt. Sie war – bei Gustav. Bei dem einst Geliebten, dessen sie nicht ein einzigesmal Erwähnung gethan, seitdem sie in Schwarzwaldau lebte; den zu nennen, sie absichtlich vermieden. Heute empfing sie ihren Gemal mit der wunderlichen Versicherung: der Ermordete sei ihr erschienen; sie habe hier sitzend dem Spiele der gelben Blätter zugeschaut, die der Wind über den Rasen jagte und habe dabei, wie man so wachend träumt, goldene Münzen vor sich zu erblicken gewähnt, weil sie nachgesonnen, auf welche Weise sie den Vater am Leichtesten bewegen werde, Zahlung zu leisten; . . . »da ging er , jenseits der großen Wiese, den Thränenweiden zu, unter denen Agnes begraben liegt. Ich erkannte ihn deutlich, obwohl der Tag sich schon neigt; seine Gestalt hob sich auf dem Spiegel des See's scharf hervor. Er wendete sich dem Schloße zu und machte eine drohende Geberde hier herüber. Dann verschwand er hinter den Weimuthskiefern.«
»Thorheiten!« sagte Emil.
»Warum? Kann er's nicht in Wahrheit gewesen sein? Du weißt, ich glaube nicht an Gespenster, die Mehreren zugleich einen groben sinnlichen Spuk vorgaukeln. Wir sprachen oft über die Unmöglichkeit solcher Dinge. Aber ich glaube an die Fortwirkung abgeschiedener Seelen auf die unsrigen. Glaube, daß es bisweilen in ihrer Macht liegt, uns Mittheilungen zu machen, welche sich in Gestalt äußerlicher Erscheinungen kleiden, während sie doch von unserm Innern ausgehen.«
»Und da hätte Dein – Bräutigam bis heute warten sollen? Und warum gerade heute?«
»Weßhalb nicht? Kann er mir nicht einen Wink geben wollen, daß immer noch zu wenig geschehen sei, die Mörder zu verfolgen? Daß vielleicht jetzt Zeit und Gelegenheit günstig sind, sie zu entdecken?«
»Redest Du im Ernst, Caroline? Glaubst Du an Dein ›Weßhalb?‹ Ich denke, Du machst Dir einen Scherz, meine Leichtgläubigkeit auf die Probe zu setzen?«
»Nichts weniger! Mich erfüllt im Gegentheil die bestimmte Ahnung: es wird uns gelingen, in den nächsten Tagen, eine sichere Spur aufzufinden und ich rechne auf Deine Beihilfe.«
»Auf diese kannst Du rechnen,« sagte Emil mit einer Festigkeit, über welche er selbst sich erstaunen fühlte. »Verfolgen will ich jede Spur, die sich darbietet, – aber finden mußt Du sie. Ich wüßte keine zu suchen.«
»Hatte, was ich zu sehen gewähnt, tiefere Bedeutung; war es nicht ein leeres Spiel getäuschter Augen, dann wird Suchen und Finden leicht; dann zeigt er mir den Weg.«
Sie sprachen noch lange für und wider, bis sie zu Bette gingen.
Caroline besaß, – eine Mitgift ihres Vaters, – den gesegneten Schlaf, dessen Jener sich erfreute. Sie konnte lange wach bleiben, wenn geistige, oder sinnliche Aufregungen sie belebten. Aber gab sie sich erst dem angeborenen Bedürfnisse hin, so schlief sie fest und unerwecklich. Kanonenschüsse, vor ihrem Lager losgebrannt, hätten sie nicht munter gemacht, ehe die Natur empfangen, was sie an Ruhe bedurfte. Diese Eigenschaft kannte Emil hinreichend. Sie war ihm zu Statten gekommen für manche Nacht, wo er sich vom Lager wegstahl, um nach alter Weise sein eigener Herr zu sein und nicht den Athemzug eines andern Wesens neben sich zu hören. Auf diese Stunden verwies er auch heute seine Ungeduld, die weit entfernt an einen Wink aus der Geisterwelt zu glauben, die Veranlassung der Vision anders erklärte:
»Mit Boten aus jener Welt dürft' ich schon fertig werden; wenn es nur nicht ein Besuch aus dem Theile der Erden welt ist, die man die neue nennt! Wenn es nur nicht – –?« Er sprach den Namen nicht aus. Er zitterte schon, ihn nur zu nennen.
Dreißigstes Capitel.
Emil hatte gethan, was in seinen Kräften stand, die unheimlichen Erinnerungen an den Todten durch lebendige Beweise aufrichtiger Neigung zu verwischen, Carolinens störende Einbildungen zu beschwichtigen und die beunruhigte Frau in den Zustand des Friedens zu versetzen, der einem gesunden Schlummer Förderung verspricht. Wie die Wärterin dem schreienden Kinde alle möglichen Spiele und Näschereien für den künftigen Tag zusagt, damit es nur endlich die Augen schließe und ihr gestattet sei, ihre Augen von dem lästigen kleinen Tyrannen ohne Verantwortlichkeit ab- und eigener häuslicher Beschäftigung zuwenden zu dürfen; so
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