Schwarzwaldau
mußte Gustav, in knieender Stellung, zwei Finger der rechten Hand legen und die Eidesformel nachsprechen, die dahin lautete, daß dieser Dolch ihm in sein Herz gebohrt werden dürfe, wenn jemals auch nur die leiseste Andeutung der Vorgänge im Schlosse zu Schwarzwaldau ihm entschlüpfe; daß er dann seinen Tod nicht wie an ihm begangenen Mord, sondern lediglich wie gerechte Vollstreckung eines von ihm selbst anerkannten Urtheils betrachten wolle.
Er verschwor Seele und Seelenseligkeit, wenn er dieß Wort bräche.
Darauf nahmen sie Abschied: sie wollten sich nicht mehr wiedersehen. Morgen früh sollte Gustav abreisen; zunächst nur bis Thalwiese. – Das Portefeuille unter'm Arm wendete sich der so lange für unentbehrlich gehaltene, nun entlassene Freund der Thüre zu, und hoffte den Ausgang schon gewonnen zu haben, da rief Emil's Bitte ihn zurück. Nicht ohne Besorgniß gehorchte er. Diese steigerte sich noch, als sein Wohlthäter nach einem Buche griff.
»Sind wir wohl jetzt in der Stimmung? . . .« fragte Gustav schüchtern.
»Nur auf einen Augenblick noch. Lies diese Stelle.«
»Die Kaltwasser'sche Uebersetzung des Plutarch;« aus dieser las Gustav: »›Solon's Mutter war wie Heraklides der Pontiker meldet, mit der Mutter des Pisistratus Geschwisterkind. Anfänglich lebte er mit Diesem in vertrauter Freundschaft, theils weil er so nahe mit ihm verwandt war, theils auch, wie Einige sagen, weil er ihn, seiner Schönheit und großen Talente wegen, auf's Zärtlichste liebte. Daher kam es denn vermuthlich, daß ihre Feindschaft, als sie in der Folge wegen politischer Meinungen miteinander zerfielen, nicht in heftige und wilde Leidenschaft ausartete, sondern jene Gerechtsame sich noch immer in ihren Herzen erhielten und das Andenken der vorigen Liebe und Zärtlichkeit wie glimmende Funken von einem großen Feuer aufbewahrten.‹«
Gustav konnte den Schluß dieses Perioden nicht ohne Rührung lesen, was sich durch seiner Stimme Zittern verrieth.
»Ich bin kein Solon,« hub Emil an, »und Du kein Pisistratus; unsere Mütter waren nicht Geschwisterkinder und zwischen uns besteht keine Verwandtschaft außer jener des Herzens, – die zwar auch nicht gegenseitig, doch in dem meinigen lebte. Ich liebte Dich und Alles, was schön, gut, edel an Dir ist. Deine Talente und Anlagen galten mir vielleicht über ihren Werth, eben weil sie unausgebildet mich wähnen ließen, Dich und sie fördern zu können? Es war ein Wahn. Jetzt scheidet uns – nicht die politische Meinung, – aber doch etwas dem Aehnliches. Die Durchführung des Vergleiches schenkst Du mir; sie würde Dich ermüden. Wir trennen uns, – was soll ich's läugnen? – fast wie Gegner! – darum brauchen wir nicht Feinde zu sein. Erinnerung wird glimmende Funken aufbewahren von jenem großen Feuer, welches einst in meiner Brust loderte. Gehe mit Gott.«
Sie reichten sich die Hände – und Emil blieb allein!
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Als er am nächsten Tage, – nicht erwachte, denn er hatte nicht geschlafen, – als er sich vom Lager aufrichtete, dem Rollen des Wagens zu lauschen, welcher den heimisch gewordenen Gast entführte, da trat der Tafeldecker bei ihm ein.
»Wo ist Franz?« fragte der Herr, dem es jetzt erst in den Sinn kam, daß er den Jäger nicht gesehen seit Agnesens Tode.
»Ach, der liegt danieder,« entgegnete der Tafeldecker. »Es ist ihm gar schlecht, aber von den Arzeneien, die der Herr Doctor ihm verordnet, will er nichts wissen. Er sagt, die könnten ihm nicht helfen. Er zieht sich das Unglück unserer armen gnädigen Frau zu Gemüthe. Du lieber Gott, thun wir's nicht Alle? Nur daß wir nicht nachgeben, wie der junge verwöhnte Patron und uns auf den Beinen halten für den Dienst.«
»Was hältst Du in der Hand, Alter?«
»Ein Briefchen. Der junge Herr hat mir's aus dem Wagen zugereicht; ich sollt' es ohne Zögern übergeben.«
Emil entließ den Diener und fand, nachdem er den dick verklebten und vielfach besiegelten Umschlag mühsam zerrissen, nachstehende Zeilen mit Bleistift gekritzelt:
›Für die Möglichkeit, daß kränkende Gerüchte über A. laut würden, seh' ich mich gezwungen, Dir eine Entdeckung zu machen. Die ganze Nacht hab' ich mir den Kopf zerbrochen, ob ich sie nicht unterdrücken sollte? Doch ich gedachte meines Eidschwurs – und muß mich sicherstellen vor möglichem Verdacht. So wisse, daß am letzten Abend vor ihrem Tode die Selige, durch einen mir immer noch unerklärlichen Irrthum getäuscht, Deinen Jäger für
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