Schwarzwaldau
Eine kleine Reise in's Blaue hinein, – wie er es nannte. Gustav, obgleich er sich, der in den ersten Zeilen dieses Capitels angedeuteten Unterwürfigkeit getreu, gern in jede Anordnung des Hausherrn fügte, konnte doch einen gewissen Unmuth kaum unterdrücken, der nicht ›der Reise in's Blaue,‹ – wahrlich, dieser nicht! – der lediglich dem damit verbundenen Vor-Tageaufstehen galt. Das war und blieb einer der wenigen Puncte, wo die Schwarzwaldauer Schule noch wenig am Zögling Thalwieser Langschläfrigkeit gebessert hatte. Ein zustimmendes, entschiedene Freude an der Fahrt kundgebendes Wort, ja schon ein Blick Agnesens würde genügt haben, jene Wolke des Unmuthes zu verscheuchen. Aber Agnes vermied immer, in Emil's Gegenwart merken zu lassen, wie unwiderstehlich ihre Gewalt über Gustav sei; sie suchte es lieber so einzurichten, daß Emil seinem Einfluß auf den Freund stärkeres Uebergewicht zutrauen durfte. Deßhalb mischte sie sich mit keiner Silbe hinein, als beim Gutenachtsagen Gustav sich die Erlaubniß erbat: morgen zu Pferde nachfolgen zu dürfen, falls er vielleicht den Sonnenaufgang verschlafen sollte. Kaum aber hatte sie Lisetten aus ihrem Schlafgemach entlassen, als sie leise auf den Corridor schlich, wo sie Gelegenheit suchte, das Versäumte nachzuholen. Der Mond warf zweifelhafte Lichter durch ein mit bunten Glasscheiben verziertes Flurfenster. Agnes hörte Tritte hallen, – wagte sich weiter vor im Halbdunkel, – meinte Gustav zu erkennen? – sah zugleich Lisettens weißes Kleid aus der Ferne, – beeilte sich also, Jenem rasch zuzuflüstern: »Fehle morgen nicht, Lieber! Emil würde sich gekränkt fühlen, wenn wir ohne Dich ausfahren müßten.« Und seine Zusage nicht erst abwartend, eilte sie zurück nach ihren Gemächern.
Als Morgens früh beim ersten Grauen des Tages Gustav sie schon vollständig gekleidet im Salon empfing, flüsterte sie ihm, (während Emil durch's Fenster nach den Stallleuten hinabrief,) nur zu: »Dank, daß Du meine Bitte erfüllst!« War aber sehr verwundert ihn fragen zu hören:
»Welche?«
»Nun, von gestern Abend, im Corridor?«
»Davon weiß ich nichts,« sprach er mit ungekünsteltem Erstaunen.
Zugleich trat der Büchsenspanner ein, sich erkundigend: ob auf Schnepfen gejagt und welche Gewehre mitzunehmen befohlen würde?
Emil sagte: »Es wird kein Gewehr mitgenommen und es begleitet uns niemand. Wir wollen den Mai feiern und kein Geschöpf Gottes umbringen.«
Franz verzog den Mund zu unterthänigem Lächeln, worin Agnes bittern Hohn wahrzunehmen meinte. Dabei aber trat ihr wieder die sonst schon zur Sprache gebrachte Aehnlichkeit dieses Jägers mit Gustav vor die Seele. Und als er hinausgegangen, sagte sie: »Caroline hatte wirklich Recht: es besteht eine seltsame äußerliche Verwandtschaft zwischen Deinem Büchsenspanner und Herrn von Thalwiese. Sie gleichen sich nicht und dennoch giebt es Augenblicke, wo man sie verwechseln könnte.«
»Warum nicht gar?« lachte Emil; »nun, laßt uns aufbrechen.«
Er ging voran, weil er wieder kutschiren wollte.
Gustav gab Agnesen den Arm.
Auf der Treppe sagte er: »Hast Du vielleicht gestern dem ›Grünen‹ gesagt, was Du mir sagen wollen? Hast Du uns wirklich verwechselt?«
»Ich fürchte, ja.«
»Dann sei Gott ihm gnädig,« murmelte Gustav.
»Und mir auch,« setzte sie hinzu.
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Der Mai hielt in keiner Art, was Emil von ihm gehofft. Auf den reinsten Morgen folgte ein trüber, kühler Tag; und weder Agnes noch Gustav gelangten wieder zu unbefangenem Frohsinn. Emil gab sich anfänglich Mühe, sie aufzuheitern; da es nicht gelingen wollte, sank er auch in trübes Nachsinnen . . . .
Hat schon Einer meiner Leser, – (ich will es keinem wünschen, auch dem Gegner nicht) – die Empfindung gehabt, die wie Vorgefühl eines furchtbaren Schlages Sinn und Herz bedrückt, den ganzen Tag hindurch, ohne daß bestimmte Gründe dafür vorhanden sind? – Gustav und Agnes hatten sie; und wenn auch Beide nicht wußten, was ihnen zunächst drohte, so wußten sie doch, woher die beengende Ahnung sich schrieb und vermochten ihr in Gedanken auszuweichen, oder entgegenzutreten. Ueber Emil aber war sie gekommen, hatte sich nach und nach über ihn verbreitet, und er wußte nicht, woher? wohin? Er fühlte nur die Last ungeheurer Bangigkeit; unerträglicher, als an jenem düsteren Tage verwichenen Sommers, den wir im ersten Capitel geschildert haben. Er führte die leichte Kutsche nach den verschiedensten
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