Schwarzwaldau
sollte er mir nicht bleiben, ohne mich, aus Besorgniß, seine dortigen Gegner – denn all' meine Diener hassen und beneiden ihn! – könnten seinen Zorn reizen und ihn dadurch zu irgend einem Ausbruche tiefgenährten Grolles reizen; hier möcht' ich ihn wieder unter Schloß und Riegel halten, damit er nicht auf Gustav stoße! . . . Ja, wo mag dieser – Gustav sein? Wo mag er leben? Und wie? Wie mag er seinen Eidschwur gehalten haben? Ob er – unserer noch gedenkt? Ob er noch um Agnesen weint? Ob er zu Rathe gehalten, was ich ihm als sein Erbtheil gab? – Gewiß nicht! Denn ich meine, daheim vernommen zu haben, seine Mutter sei nach des Vaters Tode in bitterer Noth? Ihr Sohn fern von ihr! – Welche peinliche Ahnung raunt mir zu, daß wir ihm hier begegnen können? – O, wär' ich nicht nach Dresden gegangen! Hätt' ich meine Geschäfte lieber in Berlin . . . . Thorheiten! Wär' ich dort, würd' ich ihn dort wähnen! Die Angst dieser Ahnungen liegt in mir, ich schleppe sie mit mir herum, und werde sie nicht mehr los, so lange Franz lebt; so lange er an mir hängt, an mich und meine Qualen gekettet, und ich an ihn, wie zwei Galeerensträflinge zusammen geschmiedet sind!«
Solchen und ähnlichen hypochondrischen Betrachtungen setzte Franz Sara, den wir von Schwarzwaldau her als subordinirten Leibjäger kennen, den wir aber jetzt, nach zweijährigem Umherreisen mit seinem Herrn gleichfalls einem Herrn ähnlich auftreten sehen, nicht gar lange vor Mitternacht erst ein Ende. Keine Entschuldigung, daß er so lange auf sich warten lassen! Keinen Gruß! kein Wort der Anrede! Stumm und gebieterisch, als wäre Emil sein Diener, warf er sich in die Sopha-Ecke. Emil fuhr fort, die lange Stube mit langen Schritten zu messen, den Kopf gesenkt, die Arme auf dem Rücken; zu einem Vorwurf gegen Franz ermannte er sich nicht. Nicht einmal zu einer Klage, soll nicht sein resignirtes Schweigen dafür gelten. Von Zeit zu Zeit blieb er vor dem Sopha stehen, auf eine Erklärung des Dieners harrend, auf einen Bericht? Denn daß dieser von etwas Ungewöhnlichem erfüllt sei, durfte wohl angenommen werden und Emil erwartete eine Mittheilung. Endlich, da es zwölf Uhr schlug, sprach er: »So geht das länger nicht; wir müssen uns trennen, Franz!«
Franz fuhr auf: »Begehr' ich denn etwas Anderes? Hab' ich jemals etwas Anderes begehrt, seitdem sie begraben ist? Waren Sie es nicht, der mich festgehalten mit allen möglichen Drohungen, mit allen ersinnlichen Versprechungen? Haben Sie mich nicht gezwungen, bei Ihnen zu bleiben, als ich Ihrem Günstling nachstrebte, ihm die zweite Kugel in den Leib zu jagen, nachdem die erste ihr Ziel verfehlte und jenes schauderhafte Unglück angerichtet hatte? Traten Sie nicht vor mein Lager, wie Sie jetzt vor mir stehen; damals meines alten Lehrherrn Kugelbüchse in der einen, die verfluchte Kugel in der andern Hand haltend und von schwerem Kerker faselnd? Mußt' ich nicht aufspringen und Ihnen zu bedenken geben, daß ich dann auch reden und gar verwundersame Geschichten erzählen könnte, von Ihnen und Ihrem Hause, ja sogar von ihr , – die ich nicht mehr zu schonen brauchte, seit dem ich wußte, daß sie ihn geliebt, dem ich Tod geschworen? Und wendete sich da nicht das Blatt? Und gaben Sie nicht plötzlich mir gute Worte? Und rangen Sie dann nicht die Hände, nach Ihrer beliebten weichlichen Weise jammernd: ›Was ist zu thun? Laß' ich ihn von mir, so geht er hin und mordet Gustav und fällt dem Gericht in die Hände und seine Enthüllungen bringen Schmach über Schwarzwaldau, verleumden Agnesen im Grabe!‹ Jammerten Sie nicht so? Und schlugen Sie mir nicht vor, bei Ihnen zu bleiben, mit Ihnen zu reisen, gemeinschaftlich die Leiden zu tragen, die ein gemeinsames Geschick über uns verhängt und auszudauern, bis ›Gras über Alles gewachsen sei?‹ Ein Ausdruck, den ich so passend fand, daß ich ihn sogar der zärtlichen Lisette zu hören gab bei meiner Trennung von ihr! – Ich habe Ihren Willen erfüllt, bin mit Ihnen gereiset, habe meine Freiheit verkauft, – im Ganzen genommen zu so niedrigem Preise, daß ich wohl berechtiget war, mich durch eine selbstbereitete Verbesserung meines Verhältnisses bezahlt zu machen. Ich habe die Livree abgelegt und bin als ›Ihr guter Freund‹ mit Ihnen umhergezogen. Warum sollten Sie nicht einen jüngeren Freund haben, der Franz Sara heißt? Wer hört dem Namen an, daß er im Zuchthause fabricirt wurde? Wie? Gleichwohl hatte dieser ihr
Weitere Kostenlose Bücher