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Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Titel: Schweig still, mein Kind / Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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erkennen. Einen über viele Jahre gewachsenen Blick der Traurigkeit, der ihrer Schwiegermutter sagen wollte: Du hast deinen Ältesten nie geliebt. Alles dreht sich nur um dich. Andere sind dir gleichgültig. Über Bruno kannst du Macht haben. Der wehrt sich nicht. Doch du verachtest die, die ihr eigenes Leben leben. Mit Recht wendet sich die Welt von dir ab.
    Für einen Augenblick durchströmte ihn Zärtlichkeit für seine Frau, die so tief in sein Innerstes schauen konnte. Dann schämte er sich. Für die Situation. Für sein Leben. Und für diesen Winkel in seinem Herzen, in den er nicht einmal Renate ließ. Diese Ecke, in der die nackte Angst saß.

[home]
21
    L arsson und sein Team hatten ganze Arbeit geleistet. Ehrlinspiel war während der Obduktion mehrmals kurz eingenickt, den Kopf an die weiß gekachelte Wand des großen Sektionssaals gelehnt. Doch das ständige Wasserrauschen, das metallische Klacken der Scheren, das Sägen und die konzentrierten Stimmen hatten ihn immer wieder in die grell erleuchtete Atmosphäre des Todes zurückgeholt.
    Während der Rechtsmediziner in weißer OP -Kleidung und transparenter Einmalschürze diktiert hatte, hatte die assistierende Sektionsärztin um zwei Uhr morgens Größe, Gewicht und äußere Verletzungen des Toten festgestellt. Um zwei Uhr dreißig setzte der Präparator den Thoraxschnitt, öffnete die Brust unterhalb der Drosselgrube von rechts nach links, ebenso den Bauch vom Hals bis zum Schamhügel.
    Ehrlinspiel starrte auf den Lüftungsschacht, während auf dem Edelstahltisch Johannes Beyers Rippen freigelegt, mit der Knochenschere gebrochen und zusammen mit dem Brustbein herausgenommen wurden. Er beobachtete, wie Hände in orangenen Handschuhen Organe entnahmen, wogen, ihr Gewicht auf einer grünen Wandtafel notierten, sie sezierten. Wie sie Proben von Gewebe, Blut, Urin, Magen- und Darminhalt einlagerten. Wie sie den Kopf öffneten – Ohr-zu-Ohr-Schnitt über das Hinterhaupt, Vorklappen der Gesichtshaut, Aufsägen des blanken Schädels –, das Gehirn herausschälten und zur Untersuchung in Scheiben schnitten.
    Um kurz vor sechs Uhr morgens waren alle drei Körperhöhlen wieder verschlossen gewesen, und Larsson hatte dem Hauptkommissar das vorläufige Ergebnis erklärt.
    Jetzt stand Ehrlinspiel am Tresen der
Heugabel
.
    »Und?«, fragte Hanna, die, nur leicht geschminkt, in Jeans und Bluse neben ihm lehnte. Niemand sonst hielt sich in der Gaststube auf.
    »Erschlagen. Wie Elisabeth. Mit einem Stein.« Ehrlinspiels Körper schien mit Blei gefüllt, und der magischen Anziehungskraft seines heimischen Bettes hatte er kaum widerstehen können. Doch hätte er sich erst einmal hingelegt, wäre er nicht mehr auf die Beine gekommen. Bruno war wegen der Sedierung frühestens am Mittag vernehmungsfähig. Die Zeit wollte Ehrlinspiel für ein Gespräch mit Margarete nutzen und zudem Brunos Alibi für den ersten Mord noch einmal prüfen. Nach einer hohen Dosis Koffein. Plus Tee für seinen rauhen Hals.
    »Und weiter?« Hanna musterte sein Gesicht.
    »Mehrere Schläge.« Er sah sie an und dachte, dass er nun endgültig wie ein Zombie aussehen musste. Rote Augen, dunkle Ringe darunter, unrasiertes Kinn und Wangen, zerknitterte Kleidung. »Der Täter muss richtig in Rage gewesen sein.« Gern hätte er ihr mehr anvertraut, doch hinter seiner Polizistenseele jagte immer ein wenig Misstrauen her. Das würde er nie abschalten können.
    »Wie furchtbar.« Sie ließ den Kaffeelöffel sinken. »Und wann … wann war das?«
    »Samstagvormittag.« Dass Johannes Beyer noch viele Stunden gelebt hatte, mit einer Fraktur des Schädeldachs, und dass er langsam und qualvoll ausgekühlt und genau daran gestorben war, sagte er nicht. Johannes hatte nicht die Gnade erfahren, wenn man das so denken durfte, wie Elisabeth nach dem Schlag bewusstlos geblieben und dann am eigenen Erbrochenen erstickt zu sein. Er hatte gelitten. Fast einen Tag lang.
    Nach der Tat war Johannes aus der Bewusstlosigkeit erwacht. Verwirrt, haltlos zitternd, mit Herzrasen und dem Gefühl, nur noch aus einem hellen Schmerz zu bestehen. »Körper und Seele sind in dieser Phase ein einziger Schrei«, hatte Larsson gesagt. »Das Denken verselbständigt sich, und bizarre Bilder ziehen an dem Erfrierenden vorbei.«
    Ehrlinspiel kannte die Phasen des Kältetods aus Berichten des Konzentrationslagers Dachau und von verunglückten Bergsteigern, die überlebt hatten.
    Was mochte der Landwirt für Bilder gesehen haben? Elisabeth,

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