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Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Titel: Schweig still, mein Kind / Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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Kommissar Ehrlinspiel reden?
Unmöglich!
Er richtete sich auf.
    Warum nur hatte Elisabeth zurückkehren müssen! Warum nur war Johannes nicht aus dem Dorf weggegangen! So wie er es vorgehabt hatte? Hermann hätte es verstanden. Sie wären noch am Leben.
    »Verflucht«, sagte er laut und stand auf.
    Elisabeth. Johannes. Bruno. Drei Menschen, tragisch verbunden. Seine Clique. Die sich ewige Treue geschworen hatte.
    Ihre Kindheit war ein Abenteuer gewesen und sie die Entdecker. Der Wald war ihr Dschungel, der Bach dorthin der Atlantik. In der Schule hatten sie von Kolumbus gehört, und auf seinen Spuren waren sie losgezogen. Hermann als Expeditionsleiter, Elisabeth als Planerin. Sina war für den Proviant zuständig gewesen, und Johannes trug das Gepäck. Dafür hatten sie ihre Schulranzen zweckentfremdet und mit Brotlaiben, Käse und Taschenmessern bestückt. Renate, noch ein kleines Mädchen, hatte sie manchmal als Köchin begleitet. Und Bruno – der war stets stumm nebenhergetrabt, nicht auf dem Pfad, sondern abseits, im Schatten der Bäume. So hatten sie das unbekannte Land erobern wollen: die Schlucht. Die Menschenfresser und Eingeborenen, die rechts und links lauerten, hatten sie nie gefürchtet. Nur den Rabenmann. Der hatte sie davon abgehalten, die letzten Schritte zu gehen, zu den Felsen und der Quelle.
    Sie waren jedes Mal umgekehrt, kurz vor dem Ziel. Nur Bruno nicht. Er war der Einzige geblieben, der außerhalb der Prozession das verbotene Land betreten hatte. Und nie war ihm etwas zugestoßen. Bis jetzt.
    Jetzt gab es nur noch Sina und Renate, mit denen er Kindheitserinnerungen teilen konnte.
    Er drehte den Wasserhahn auf, spritzte sich kaltes Nass ins Gesicht, füllte ein Glas und gab zwei Aspirin hinein. Er trank es in einem Zug.
    Nein, Sina war nicht übrig. Sie lebte und funktionierte. Ähnlich wie er selbst. Doch seit der Sache mit Felix war sie einen lebendigen Tod gestorben. Er dagegen hatte sich in das Gemeindeleben gestürzt. Subventionen für die Turnhalle erstritten, die Brunnen saniert und eine Kita initiiert. Das hatte er geschafft. Aber Sina hatte er nicht helfen können. Dabei war er einer der wenigen Menschen gewesen, die ihr etwas von ihrer Last hätten nehmen können.
    Er war ein Versager. Ein verdammter, mieser Versager. Er griff nach der Vase und schleuderte sie gegen die Wand. Sie zersprang, und muffiges Wasser ergoss sich über den Putz und den Boden. »Versager!«, schrie er, und Rotz lief ihm über das Kinn. Er wischte mit dem Ärmel darüber.
    Schwer atmend setzte er sich, legte das Gesicht in seine Hände. Seine Haut fühlte sich rauh und faltig wie die eines alten Mannes an, als hätte sich das alles in den letzten Tagen für immer eingebrannt.
    Wie sollte ausgerechnet er in diesem Jahr die Rabenprozession anführen? Die Menschen an den Platz geleiten, wo seine Schwester ermordet worden war? Wie sollte er länger Stärke beweisen, wo nur Schwäche hauste?
    Vorbild sein. Pflichtbewusst handeln. Erwartungen erfüllen. Er lachte laut auf.
    Zwei Tote in fünf Tagen. Und Elisabeths Kind. Es wäre so wichtig, der Gemeinschaft jetzt Halt zu geben, Zuversicht. Wie immer in die Schlucht zu ziehen und zu beweisen, dass die Tradition stärker war und alles wieder gut werden würde. Aber es würde nicht gut werden. Nie wieder. Nicht für ihn.
    Hermann fuhr sich durch die schweißfeuchten Haare und trank ein weiteres Glas Wasser.
    Über sich hörte er leise Bodendielen knarren. Jemand ging umher. Vielleicht Anna, die nachts manchmal aufwachte und zu Tobi ins Bett kroch. So wie Elisabeth und er es auch getan hatten.
    Er stellte sich die Gesichter seiner Kinder vor, die zarten Wangen und Stupsnasen, den süßlichen Kinderduft, der ihn immer so froh stimmte. Neben seinen schlafenden Kleinen zu sitzen, bedeutete für Hermann vollkommenes Glück.
    »Dachte ich mir’s doch.« Frieda kam im Morgenmantel in die Küche. »Flennst hier herum und lässt deinen Bruder im Stich!«
    Hermann glaubte zu ersticken.
    »Und was ist das für eine Sauerei?« Sie zeigte auf die Scherben und die fleckige Wand.
    Stumm sah er seine Mutter an. Konnte sie jetzt wirklich an einen beschissenen Fleck und Scherben denken?
    »Ja, da hast du natürlich nichts mehr zu sagen.« Ihre Pantoffeln schlurften zu einem Stuhl.
    »Halt den Mund«, zischte er.
    »Das ist
mein
Haus. Ich rede, wann
ich
will.«
    »Du kannst es nicht lassen, nicht wahr? Macht, darum geht es dir. Um nichts sonst.«
    »Es geht um Bruno.«
    »Natürlich. Um

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