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Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Titel: Schweig still, mein Kind / Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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Baggerseebezwinger ging ein Stich durch Ehrlinspiel.
    »Fragmentlängen-Polymorphismus«, sagte Bruno in lautem Stakkato.
    Der Rechtsmediziner drehte sich abrupt um. Mit hochgezogenen Brauen sah er den Autisten an.
    Im Zimmer wurde es still.
    Alle Augen richteten sich auf Bruno, zu dem Larsson mit skeptischer Miene trat.
    »Tetrarepeat«, sagte Larsson zu Bruno.
    Der hüpfte. »Polymerase-Kettenreaktion.«
    Larsson kniff die Augen eng zusammen. »Restriktionsenzym.«
    »Methyltransferase.«
    »Unglaublich!«, sagte Larsson und warf Bruno weitere Fachwörter zu. Der antwortete mit ebensolchen.
    Der Rechtsmediziner fuhr herum. »Er ist ein Savant!«, rief er.
    »Ein was?«, fragten Ehrlinspiel und Freitag gleichzeitig.
    »Ein Savant! Ein Wissender. Einer mit Inselbegabung.« Schon kehrte er sich wieder Bruno zu und tauschte Fachbegriffe mit ihm aus. Bruno sprang dabei auf und nieder, wedelte mit den Armen und schien völlig vergessen zu haben, wo er war.
    Die anderen wechselten stille Blicke miteinander.
    Aus dem Flur drang das Auf- und Zuschlagen von Türen und ein gedämpftes »Mahlzeit«.
    Was für ein Irrenhaus!
    Die beiden führten sich auf wie Kinder, die eine Geheimsprache entdeckt hatten. Ehrlinspiel stützte den Kopf in die Hände, als Larsson auf ihn zuflog: »Du hast von einem Autisten gesprochen. Warum hast du nicht erwähnt, dass er –«
    »Wenn du damit dieses chemische Geschwätz meinst: Bruno Sommer redet schon die ganze Zeit so komisch. Deswegen hatte ich dich ja eigentlich gebeten, kurz herzukommen. Es gibt da eine Formel …«, er rieb sich über die Stirn, »H 2 NCH 2 irgendwas … Ach, verflucht, ich kenne die irgendwie.«
    »Ha zwei en, ce ha zwei, vier, en ha zwei«, artikulierte Bruno postwendend.
    »Putrescin«, übersetzte Larsson.
    »En ha zwei, ce ha zwei, fünf, en ha zwei.«
    »Cadaverin.« Mit einem Lächeln auf den Lippen trat Larsson zu Ehrlinspiel und schrieb die Formeln
NH
2
(CH
2
)
5
NH
2

und
H
2
N(CH
2
)
4
NH
2

auf einen Zettel.
    Ehrlinspiel sprang auf. Natürlich! Diese stechend riechenden Substanzen, die bei der Verwesung von Leichen entstanden. Abbauprodukte von Aminosäuren. Wie hatte er das nur vergessen können!
    »Put res cin«, wiederholte Bruno und trabte in einem kleinen Kreis im Zimmer umher. »Ca da ve rin.«
    »Soll ich …?« Sofort war Deschner zur Stelle, um Bruno mit einem der Anwesenden zusammen in die Zelle zurückzubringen.
    »Nein, lass ihn.« Ehrlinspiel hob die Hand. »Herr Sommer«, sagte er mit einer Stimme, die Marmor schneiden könnte, und Bruno hörte auf zu hüpfen. »Sie wissen ja sehr genau, wie Tote verwesen.« Das Gewächshaus mit den konservierten Tierskeletten. Das Fleisch. Johannes’ Leichnam.
Er ist Wissenschaftler.
»Ich sage Ihnen jetzt, was ich vermute.« Granit. »Sie haben mit toten Körpern experimentiert. Erst Tiere. Dann Menschen. Sie haben Elisabeth getötet, um an das Baby zu gelangen. Aber das war Ihnen nicht genug. Sie brauchten es eine Nummer größer. Doch Elisabeths Leichnam wurde gefunden, bevor Sie sich seiner bedienen konnten. Wie dumm. Also haben Sie Johannes umgebracht. Habe ich recht?«
    Bruno wimmerte.
    Larsson sah gelassen zu Ehrlinspiel. »Du kannst einen Savant nicht wie einen Verbrecher von der Straße behandeln. Du musst«, er hob den Kopf, »auf
seinem
Niveau mit ihm reden.«
    »Und was, bitte, ist sein Niveau? Zuschlagen? Aufschlitzen?«
    »Forschung, Moritz. Biologie und Chemie. Glaub mir: Er kann normale Menschen wie dich nicht verstehen.«
    »Aber töten kann er sie. Das genügt mir.«
    »Hast du Beweise?«
    »Reinhard, was soll das?«
    »Er denkt anders. Savants, die wie Bruno gleichzeitig Autisten sind, sind zwar Genies auf einem Gebiet – auf allen anderen jedoch hilflos.
Insel
begabung.«
    »Der Ermittler bin
ich,
Reinhard.«
    »Kennst du Matt Savage? Daniel Tammett? Oder Kim Peek?«
    »Nie gehört.«
    Mit einem dumpfen Schlag ließ Bruno sich auf den Boden fallen.
    Sein Wimmern wurde lauter.
    »Savage hat sich selbst mit sechs Jahren das Klavierspielen beigebracht. Über Nacht. Mit sieben komponierte er bereits. Heute gilt er als Jahrhundert-Jazzgröße. Daniel Tammett besitzt eine phänomenale Zahlenbegabung. Vierunddreißig hoch fünf ist?« Er sah den Kommissar forsch an. »Na, Moritz? Tammett sagt’s dir auf Anhieb. Ohne Rechner. Dritte Wurzel aus 73? Kreiszahl Pi auf 22 500 Stellen? Frag Tammett. Oder sprich Isländisch mit ihm. Hat er in einer Woche gelernt. Acht andere Sprachen spricht er

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