Schweig still, mein Kind / Kriminalroman
erkennen, wenn sie ihn von hinten anfiel und in den Hintern biss.
»Aus dunkler Erde«, sang Bruno weiter, »wird sein Leben …«
»… genährt und will uns Freude geben«, ergänzte Larsson nüchtern, »wird grünen, blühn, der Sonn entgegen, bringt Erlösung dir und Segen.« Damit verbeugte er sich kurz, öffnete die Zimmertür und war verschwunden.
Verdutzt sahen sich die Ermittler an.
»Ihr habt das auch gesehen und gehört, ja?«, fragte Ehrlinspiel, der zur Tür schaute und sich überlegte, ob er mit der Kopfverletzung nicht doch besser ins Krankenhaus hätte gehen sollen.
»Es war keine Fata Morgana«, sagte Freitag.
»Das Trampeltier war echt«, bestätigte Deschner.
»Gregor«, bat Ehrlinspiel mit einem Seitenblick auf Bruno, »würdest du kurz alleine …?«
Deschner nickte, und die beiden Kommissare gingen in den Flur.
»Freitag, wir kommen nicht weiter. Okay, er hat das tote Kind herausgeschnitten. Definitiv. Aber wie hat er von Elisabeths Leiche erfahren? Er ist doch nicht zufällig nach dem Essen mit der Alten samt Geflügelschere in die Schlucht gelaufen. Und jetzt liegt noch Johannes Beyer in seinem Gewächshaus.«
Sie sahen sich an.
»Mach die Akte fertig«, sagte Freitag.
Ehrlinspiel nickte. Auf das Urteil seines Freundes konnte er vertrauen. Wenn Freitag zum gleichen Schluss kam wie er selbst, hatten sie meist auch die Staatsanwaltschaft auf ihrer Seite. »Sag mal«, sagte er dann und verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein. »Kannst du mir ein paar Infos über eine Hanna Brock raussuchen? Geboren 8.8.1971. Und über ihren letzten Arbeitgeber?«
»Ist die in den Fall verwickelt?«
»Ich hoffe nicht.«
Freitag legte den Kopf schief. »Nur hölzerne, einäugige, ausgemergelte und hochschwangere Frauen. Soso.«
»Sie ist nicht aus dem Dorf.«
Ein breites Grinsen stahl sich auf Freitags Gesicht. »Aber älter als du.«
»Zwei Jahre! Na und?«
»Drinnen liegt Schokolade, Meister. Macht glücklich.«
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25
H inter dem Wald veränderte die Landschaft ihr Gesicht. Felsen und Tannen wichen offenen Hügeln, durch rauhreifbesetzte Wiesen plätscherten silbrige Bäche.
Endlich allein. Zeit für Gedanken.
Hanna trat auf das freie Feld und stopfte die Enden des Schals in den Ausschnitt ihrer Jacke. Der Wind fuhr ungebremst in ihr Haar, als wolle er den Rest ihrer brodelnden Gefühle wegfegen und Platz machen für Gelassenheit. Doch sie fühlte sich resigniert und unsicher.
Sie ging in südliche Richtung. Richtung Freiburg. Dahin, wo Moritz Ehrlinspiel jetzt war. Sie war ihm vier Kilometer näher, als wenn sie ihrem ursprünglichen Plan gefolgt und vom Dorf aus nach Norden gewandert wäre.
Spinnst du?, schimpfte sie sich, als sie sich bei dem Gedanken ertappte.
Rasch wechselte sie die Richtung und wickelte sich fester in ihre Jacke.
Es fiel ihr schwer, den Kommissar einzuordnen. Sein schroffes Verhalten, die hochnäsigen Drohungen wegen der Sache mit Sina. Seine Hände, die sie noch auf ihrem Rücken spüren konnte, der Kuss. Seine freundliche Distanz beim Kaffee am Morgen. Jetzt der Anruf. Seine Sorge. Gemeinsames Abendessen.
Nein, sie wollte dieses Auf und Ab nicht länger. Hoffnungen. Enttäuschungen. Wut. Leere. Nicht länger von einem Chaos ins nächste stürzen!
Der Ruf eines Raubvogels gellte durch die Luft. Hanna blickte in den Himmel, wo das Tier majestätische Kreise zog. Die Wolken über ihm schienen auf seine Flügel hinunterzusehen.
Sie hatte gehofft, hier zu sich zu finden. Das Walross vergessen und Sven verzeihen zu können. Doch der schien ihr Lichtjahre entfernt und ihre Gefühle für den offenbar allzu charmanten Grafiker in eine Parallelwelt entschwunden. Genauso wie der Tag vor vier Wochen, an dem sie früher nach Hause gekommen war. Es gab plötzlich nichts mehr zu verzeihen. Keine Lügen. Keine Computerverkäuferin. Aber es gab auch nichts mehr, was sie zurückhaben wollte. Und jetzt war da dieser Moritz Ehrlinspiel aufgetaucht, der so anders war. Der Smaragdaugen, erotische Grübchen und feingliedrige Hände hatte. Und eine Stimme, die selbst dann noch verschmitzt klang, wenn er auf 180 war. Der sie verunsicherte. Und der überhaupt nicht in die Reihe der Männer passte, für die sie mehr als ein Kumpel sein wollte.
Der Raubvogel zog die Kreise enger und stieß gezielt auf den Grund.
Hanna stellte sich vor, wie seine Klauen sich in eine kleine Maus bohrten, der hakenförmige Schnabel das Fell zerfetzte und Eingeweide herausriss.
Nein! Kein Chaos
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