Schweig still, mein Kind / Kriminalroman
gern mit ihr unter die Promis gemischt hatte. Laura von der Anzeigenabteilung, die sich mit Vergnügen in den Lobreden auf »unsere Hanna« hatte zitieren lassen. Freunde. Sogenannte Freunde.
Hanna sah, wie Joseph sich nach vorn beugte, das Gesicht in das Moos drückte. Sie fühlte sich ihm nahe, und seine Hoffnungslosigkeit traf sie mitten in ihr wundes Herz. Seines musste schon lange gebrochen sein.
Scham beschlich Hanna. Sie fühlte sich wie eine Voyeurin. Eine, die sich in die Intimsphäre anderer schlich. Genau das hatte sie auch bei Sina getan. Sie hatte Sina benutzt. Ausgerechnet sie, Hanna, der Vertrauen und Achtsamkeit die höchsten Güter waren. Sie hatte sich nicht um die Hoffnung geschert, die ihr vorgetäuschtes Mitgefühl bei Sina ausgelöst hatte. Keinen Gedanken daran verschwendet, wie es war, wenn da jemand kam, ohne alte Urteile im Kopf, und zuhörte. Hanna war stolz gewesen, dass ihr Plan aufgegangen war. Stolz auf die erschlichenen Informationen über Felix. Sie hatte einzig zu dem Zweck gehandelt, ihre Idee von der
Schwarzen Route
im Wanderführer zu realisieren und später als Konzept zu verkaufen. Ehrlinspiel hatte sie vorgegaukelt, sie würde mit der jungen Frau fühlen, und gefordert, er solle die Geschichte vertraulich behandeln, denn sie wolle Sina schützen. Der Kommissar hatte befürchtet, sie verkaufe die Infos an eine Zeitung. Wahrheitsgemäß hatte sie das verneint. Er hatte sich im Medium geirrt.
Und jetzt machte er sich Sorgen um sie. Verdammter Stolz, der ihr immer im Weg stand. Erneut setzten sich Tropfen auf ihre Wimpern.
Im Grunde teilte sie ein Schicksal mit Sina. Diese war Opfer alter Geschichten, Hanna die Beute übler Nachrede. Die Lügen um Hanna lebten bis in die kleinste Redaktion fort. Niemand veröffentlichte Artikel von ihr – das Walross hatte nicht davor zurückgescheut, seinen Einfluss in der Medienwelt auszuspielen. Notfalls auch mit Geld. Dass sie den Wanderführer schreiben konnte, verdankte sie allein der Tatsache, dass ihr Auftraggeber Schweizer war – und das Walross die Landesnachbarn nicht leiden mochte, also auch keine Kontakte zu ihnen pflegte.
Sie spähte zu Joseph. Sein Kopf lag noch immer auf dem Moosbett, an dem seine Zukunft, seine ganze Hoffnung endete. Fast schien es ihr, als warte er hier oben auf seinen eigenen Tod. Vielleicht hoffte er sogar, der Rabenmann möge ihn holen, von seinem unfassbaren Schmerz erlösen? Sie dagegen sollte Vertrauen haben in das Leben. Bisher hatte sie es doch auch immer in den Griff bekommen. Erreicht, was sie wollte. Doch der Preis dafür war hoch gewesen. Zu hoch. Vielleicht musste sie in eine andere Richtung gehen.
Joseph richtete den Oberkörper auf und legte die Hände auf Elisabeths Totenbett. Sein Schluchzen war verstummt.
Dummer Wanderführer. Dumme
Schwarze Route
. Was wollte sie damit? Dem Walross beweisen, dass sie auch ohne ihn Triumphe feiern konnte? Sich als Super-Redakteurin präsentieren? Schaut her, ich bin toll, jetzt liebt mich bitte dafür? Alles auf Kosten der unglücklichen Menschen hier?
Sie würde die Idee ruhen lassen. Lieber für Sina kämpfen, wieder authentisch handeln, anstatt für einen verkaufsstarken Wanderführer. Zwar wäre ein weiterer Konflikt mit Ehrlinspiel vorprogrammiert. Aber auch das würde sie hinkriegen.
Vielleicht entdeckte sie am Rand ihres neuen Weges Dinge, die sie bisher nicht wahrgenommen hatte. Eine Schönheit, die sie nie hatte sehen wollen. Wenn sie erst losgegangen war, würde sie bald merken, ob der Richtungswechsel sich gelohnt hatte.
Zuversicht erfüllte sie, Wärme durchströmte ihren Bauch, als ein lautes Knacken sie herumfahren ließ.
Ein Hase hoppelte davon! Sie atmete auf. Lauter harmlose Wesen.
Wieder blickte sie zu Joseph. Er hatte sich umgewandt, stand breitbeinig neben den dunklen Stämmen.
Aus blutunterlaufenen Augen starrte er sie an.
[home]
26
D as schwere Eisentor schloss sich hinter dem silbernen Opel Astra, und der Dienstwagen hielt auf dem Innenhof des Justizgebäudes. Zuerst stieg Paul Freitag aus, der am Steuer saß, dann Bruno und zuletzt Ehrlinspiel, der vorschriftsmäßig hinter dem Fahrer gesessen hatte, den Beschuldigten rechts neben sich. Bruno hatte während der zehnminütigen Fahrt keinen Laut von sich gegeben.
»Fährst du danach wieder ins Dorf?«, fragte Freitag, nachdem sie Bruno in dem kleinen Gefängnis Ecke Holzmarkt und Kaiser-Joseph-Straße abgeliefert hatten.
»Der Bruno … Ich glaube nicht, dass der das
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