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Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Titel: Schweig still, mein Kind / Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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allein gemacht hat. Wenn er überhaupt der Mörder ist. Ja, ich fahre zurück. Da läuft noch einer frei herum. Sag Lukas, dass die Spurensicherung jetzt losfahren kann. Lorena wird zustimmen.«
    »Alles klar. Aber am Donnerstag bist du zurück!« Freitag deutete einen Tischtennis-Aufschlag an. »Training! Ich nehme jetzt die Straßenbahn ins Büro.« Er hielt Ehrlinspiel die offene Hand hin.
    »Hast du deinen Dienstausweis vergessen? Dann fahr doch schwarz«, frotzelte Ehrlinspiel. Mit Polizeiausweis konnte man die öffentlichen Verkehrsmittel gratis benutzen.
    »Katzenfutter.«
    »Schon wieder alle?« Ehrlinspiel drückte ihm zwanzig Euro in die Hand. »Du musst aber nicht den Meisterkoch spielen, hörst du. Die überleben auch mit Dosenfutter, die paar Tage.«
    »Ich habe auch gar keine Zeit heute. Eiliger Ermittlungsauftrag.« Er zwinkerte. »Hanna Brock.«
    »Hey, wenn du lieber mit Lilian und den Kindern –«
    »Stets zu Diensten, Meister.«
     
    »Der Haftrichter sieht ihn sich heute noch an«, sagte Lorena Stein, schlug die Akte zu und packte die polizeiliche Haftmeldung obenauf, die Ehrlinspiel ihr zusammen mit den bisherigen Ermittlungsergebnissen vorgelegt hatte. »Mit der Hausdurchsuchung könnt ihr auch loslegen. Ich faxe dir den Beschluss nachher in den Polizeiposten.«
    Das Büro der Oberstaatsanwältin lag über dem Gefängnis, und die Treppe dort hinauf schien sich für Ehrlinspiel bei jedem Besuch endlos hinzuziehen. Es war, als hätten die Stufen im Laufe der Jahre Namen bekommen. Kummer, Angst, Schuld, Vergebung.
    Hinter Lorena Stein nahm ein Bücherregal die gesamte Wand ein. Ehrlinspiel fragte sich stets, wie sie es schaffte, ihren Schreibtisch so aufgeräumt zu halten.
    »112 oder 126 a?« Er schlug die Beine auf dem Besucherstuhl übereinander, obwohl ihm alles andere als gelassen zumute war.
    »Wir können natürlich Haftgründe nach Paragraf 112 geltend machen und U-Haft anordnen. Dringender Tatverdacht in zwei Fällen, Vernichtung von Beweismitteln, Verdunklungsgefahr. Dann sitzt er sofort in der JVA drüben. Aber ehrlich gesagt, Moritz: Bruno Sommer ist psychisch gestört. Meines Erachtens ist er gar nicht oder nur vermindert schuldfähig.«
    »Vermutlich hast du recht.« Larssons Worte geisterten ihm durch den Kopf. Autisten können nicht lügen, andere nicht täuschen. Bruno hatte möglicherweise kein Bewusstsein für das, was richtig war und was falsch. Das Strafgesetzbuch kannte vier Merkmale für eine Schuldunfähigkeit: erstens krankhafte Störungen wie Psychosen, hirnorganische Beeinträchtigungen, Intoxikationen oder Folgen von Schädel-Hirn-Traumata. Zweitens: schwere Bewusstseinsstörungen. Drittens: angeborener Schwachsinn. Sowie, viertens, tiefgreifende seelische Abartigkeiten. Wie auch immer Autismus klassifiziert würde: Ehrlinspiel war überzeugt, dass Bruno nicht zur Rechenschaft gezogen werden konnte.
    »Ich denke, mit 126 a fahren wir besser. Einstweilige Unterbringung in einer speziellen Anstalt. Dann sehen wir weiter.« Lorena Stein sah ihn sanftmütig aus ihren wachen grauen Augen an. »Du sagst, er ist im Dorf aufgewachsen. War er in der Schule? In Therapien?«
    »Soviel ich weiß, nein. Das hielt seine Mutter nicht für nötig.«
    »Eltern«, seufzte Stein. »›Mein Kind braucht keinen Psychiater.‹ Und wie oft sehen wir, was dabei herauskommt?«
    Ehrlinspiel bewunderte Lorena. Wie selbstverständlich ihr die Worte »mein Kind« über die Lippen gingen. Nach allem, was sie erlebt hatte. Sie war eine starke Frau.
    »Brunos Familie lebt in einer eigenen Welt«, sagte er. »Bruno ist einfach anders für die. Stadt, Psychotherapie, das ist wie der Mars in deren Vorstellung.«
    »Man hätte mit entsprechender Förderung viel tun können für den Kerl. Autismus ist heute kein Tabu mehr.«
    »Bei uns nicht. Aber auf dem Land? Und vor zwanzig Jahren?« Noch als er die letzten Worte aussprach, hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen.
Mist.
    Stein kam um den Tisch herum und setzte sich auf dessen Kante. Ihre zweiundfünfzig Jahre sah man ihr nicht an. Sie war schlank, groß, hatte volles rötliches Haar, trug elegante Kostüme und wirkte immer angenehm entspannt. Doch wenn es drauf ankam, wich die Sanftmut in ihren Augen frostiger Härte, und sie ließ sich von niemandem in ihre Entscheidungen hineinreden. Lorena Stein war nicht so weit gekommen, weil sie schön war. Sondern weil sie mehr auf dem Kasten hatte als viele Männer zusammen. Und weil sie nie ihre

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