Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Titel: Schweig still, mein Kind / Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
Vom Netzwerk:
Menschlichkeit verlor. Trotz ihrer Krankheit. Und trotz der Tragödie. Ehrlinspiel fühlte sich in ihrer Gegenwart gleichzeitig wohl und elend.
    Stein sah den Hauptkommissar lange an. »Da bin ich ganz bei dir«, sagte sie warmherzig. »Aber das zu beurteilen ist nicht unsere Aufgabe. Vernehmen geht nicht. Schuldfähigkeit ist zweifelhaft. Genauso ist seine Haftfähigkeit eingeschränkt, wenn ich deinen Bericht hier lese. Welche Vorteile sollte also eine U-Haft haben?«
    Ehrlinspiel streckte die Beine aus. »Sie kostet den Steuerzahler nicht so viel Geld wie Emmendingen oder Hohenasperg.«
    Sie lachte tief, und ihre volle, rauchige Stimme ließ ihn an Zarah Leander denken. »Ich werde versuchen, dass er ins Zentrum für Psychiatrie kommt oder in die sozialtherapeutische Anstalt.«
    Ehrlinspiel dachte an den Emmendinger Gebäudekomplex für den Maßregelvollzug. Psychiatrie für Straftäter. Dicke weiße Gitter vor den Fenstern. Auf der Südseite ein kleines »Freigehege«, in dem die Gefangenen wie Zootiere im Kreis laufen und durch den hohen schwarzen Zaun auf die Parkanlage sehen konnten. Er dachte an die festungsartigen Mauern des Justizvollzugskrankenhauses Hohenasperg, nördlich von Stuttgart. Er dachte an Brunos Gewächshaus. Das offene Glas, die bunten Blumenkreise. Sein Magen zog sich zusammen. Wegen des ausgefallenen Mittagessens war das nicht.
    Er stand auf. »In Ordnung. 126 a.«
    Sie begleitete ihn zur Tür. »Besuchst du Peter noch manchmal?«
    Ehrlinspiel nickte.
    Lorena Stein war die erste Person heute, die ihn nicht nach dem Verband am Kopf gefragt hatte. Sie gab ihm die Hand, und der breite Silberreif rutschte bis fast zu ihrem Ellbogen. »Grüße deine Eltern. Und wegen Bruno Sommer: Der bleibt auf jeden Fall drin. So oder so.«

[home]
27
    F rieda war es, die das Schweigen brach.
    »Was soll das heißen, er bleibt in Haft?« Ihre Stimme war belegt.
    Die Familie Sommer stand um den Küchentisch. Frieda, Hermann und Renate. Einzig Joseph hatte sich gesetzt, während der Kriminaltechniker Lukas Felber mit zwei Kollegen das Haus akribisch auseinandernahm. Von nebenan hörte man Stimmen, das schwere Schleifen von Möbeln auf dem Boden, das Klopfen gegen Wände.
    Der weiße VW -Kombi der KT hatte bereits vor dem Hof gestanden, als Ehrlinspiel wieder im Dorf eingetroffen war.
    Lukas Felber hatte zuvor auch zwei Nachbarn gebeten, bei der Durchsuchung dabei zu sein – ein Muss, falls der Beschuldigte selbst nicht anwesend war. Der Hauptkommissar hatte in ihnen den Glatzkopf und den blonden Klotz vom Kirchplatz wiedererkannt, die noch gestern ihr Maul aufgerissen und schnelleres Agieren von ihm gefordert hatten. »Übertreiben Sie jetzt nicht etwas?«, hatte der Klotz ihn verlegen begrüßt, wohingegen der Glatzkopf – am Vortag noch Fürsprecher der Sommers – geraunt hatte: »Die Familie war ja schon immer seltsam.« Wie oft er diesen Satz schon gehört hatte, vermochte Ehrlinspiel nicht zu sagen. Aber die Worte belegten stets aufs Neue, dass keiner die Menschen kannte, mit denen er tagtäglich umging. »Wir sind froh, dass Sie ihn endlich haben«, hatte der Glatzkopf noch nachgeschoben, und Ehrlinspiel hatte gedacht: Speichellecker.
    Jetzt, nach der Mitteilung des Hauptkommissars, sahen die Sommers aus wie Wachsfiguren. Er hatte alles erzählt. Wo Bruno war. Was voraussichtlich passieren würde. Was sie herausgefunden hatten. Er war froh, die Kinder spielend im Stall zu wissen.
    »Bruno hat das Baby Elisabeths … entwendet.«
    Aus Friedas Mund drang ein erstickter Laut.
    »Ob er sie auch getötet hat, wissen wir noch nicht. Auch nicht«, er sah Renate an, »ob er für den Tod Ihres Bruders verantwortlich ist. Aber ihn laufenlassen …«, er schüttelte den Kopf, »tut mir leid.«
    »Nein«, presste Hermann hervor. »Er ist kein Mörder.« Auf seiner Stirn glitzerten kleine Schweißperlen wie an dem Tag, als Ehrlinspiel die Familie zum Tod Elisabeths befragt hatte.
    Er will es nicht wahrhaben, dachte der Hauptkommissar. Oder er kennt den tatsächlichen Täter. Konzentriert musterte er den großen Mann. »Können Sie Ihren Bruder denn entlasten?«
    Hermann strich sich über das Haar. Er hatte dieselben riesigen Hände wie Bruno. »Wenn ich es könnte, glauben Sie mir …«
    Ehrlinspiel nickte und betrachtete die anderen der Reihe nach. Friedas Holzmaske, die geschienen hatte, als könne man sie nicht einmal einritzen, verriet Brüchigkeit. Eine Gesichtshälfte zuckte wie bei einem Nervenleiden.

Weitere Kostenlose Bücher