Schweig still, mein totes Herz (German Edition)
Nagel ein. Nach getaner Arbeit gingen ihre Väter mit ihnen auf dem Oconaluftee angeln, sie unternahmen Bergwanderungen oder saßen einfach auf Hales Veranda zusammen. Dann unterhielten sich die Männer über Sport und tranken Bier, die Mädchen ließen die Beine über den Rand baumeln und Mrs Hale servierte ihnen Obstkuchen, Kekse oder roten Samtkuchen, ehe sie sich in den Schoß ihres Ehemannes kuschelte.
Caitlyns Mutter tat das nie. Sagte immer, es würde ihr Kleid zerknittern, oder die Hose, oder die Bluse. Backen kam für Jessalyn ebenfalls nicht infrage. Keine Zeit. Stattdessen arbeitete sie rund um die Uhr und sparte auf ein schöneres Haus. Was Caitlyn schon damals nicht in den Sinn wollte. Wofür benötigten sie mehr Geld? Sie hatten doch eine Menge davon, so kam es ihr jedenfalls vor. Und sie liebte ihr Zuhause, alt und baufällig, genauso wie es war.
Auch ihrem Vater leuchtete das nicht ein, schließlich war er derjenige gewesen, der seine Familie in Pennsylvania zurückgelassen hatte, um nach North Carolina in die Heimatstadt von Caitlyns Mutter zu ziehen, nachdem er sich in sie verliebt hatte. Ehe er Jessalyn McSwain begegnet war, hatte er einen genauen Lebensplan gehabt, hatte Marine werden, studieren und dann fürs FBI arbeiten wollen. Aber, wie er immer lächelnd gesagt hatte, wenn er zum Ende der Geschichte kam, die Liebe habe andere Pläne mit ihm gehabt.
»Lena«, murmelte Caitlyn in Erinnerung versunken mit leicht erstickter Stimme in den Hörer. Die kleine süße Lena. Doch klein war sie jetzt nicht mehr. »Was ist passiert?«
»Sie ist verschwunden.«
Die FBI -Agentin in ihr schob dem sentimentalen Anflug einen Riegel vor. »Da sind Sie bei mir falsch. Sie müssen eine Vermisstenanzeige aufgeben. Warum sprechen Sie nicht mit ihrer Mutter und ihrer Schwester? Die beiden können besser als ich die entsprechenden Maßnahmen einleiten. So etwas fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich der Bundesagentur.«
Er räusperte sich wieder. Um Zeit zu schinden. »Es tut mir leid. Lenas Mutter und ihre Schwester sind beide tot. Vor fast vier Jahren bei einem Verkehrsunfall umgekommen. Der Fahrer des anderen Wagens war betrunken.«
Sie sank an der Wand nach unten, starrte auf Pauls Haustür, auf das polierte Messingschild mit der Nummer des Apartments, in dem sich die Lichter der Jugendstilleuchten fingen. Wie gerne wäre sie jetzt dort in der Wohnung, in seinem Arm, und nicht diesem unerwarteten Schmerz ausgesetzt. Caitlyn hatte seit sechsundzwanzig Jahren keinen Kontakt mehr zu Vonnie und ihrer Mutter gehabt. Kein Wunder, dass niemand sie informiert hatte. Doch diese nüchterne Erkenntnis war keine Hilfe. Mühsam unterdrückte Caitlyn ihre Tränen.
»Lena müsste jetzt wie alt sein, etwa siebenundzwanzig?«
»Im nächsten Monat.« Richtig, sie war am Valentinstag geboren. Caitlyn fiel wieder ein, wie Mrs Hale beinahe daheim festgesessen hätte, als die Wehen einsetzten, weil ein schrecklicher Schneesturm gewütet hatte. Caitlyn und Vonnie hatten Wasser aufgekocht und Handtücher zusammengesucht, bis Caitlyns Vater endlich mit dem Geländewagen des Sheriffs zu ihnen durchgekommen war und sie gerade noch rechtzeitig ins Krankenhaus gebracht hatte. »Sie macht diesen Sommer ihren Abschluss an der juristischen Fakultät«, fügte Whitford hinzu.
»Lena wird Anwältin?«
»Sie hielt das für den besten Weg, um ihren Vater zu rehabilitieren. Sie hat nie an seiner Unschuld gezweifelt – genau wie ihre ältere Schwester und ihre Mutter. Obwohl er seine Schuld nie abgestritten hat. Im Gegensatz zu den anderen beiden, die sich in ihr Schicksal ergeben hatten, blieb Lena, nun ja, hartnäckig. Sie war fest entschlossen, ihren Vater aus dem Gefängnis zu holen.«
Caitlyn spürte, wie Zorn in ihr aufwallte. Eli Hale war schuldig. Das wusste jeder. Wie konnte er zulassen, dass seine Tochter deswegen ihr Leben verschwendete?
»
War?
Wieso war? Konnte sie die Wahrheit schließlich doch nicht ertragen und hat sich aus dem Staub gemacht?«
»Als ihr Vater darauf bestand, dass sie seinen Fall ruhen lassen sollte, hatten sie einen ziemlich heftigen Streit. Seitdem hat sie ihn weder besucht noch angerufen, was höchst ungewöhnlich ist. Aber ich glaube nicht, dass sie so einfach aufgegeben hat. Und wenn ich ehrlich sein soll, ich für meinen Teil bin nicht sicher, ob Eli es verdient hat, den Rest seines Lebens im Gefängnis zu verbringen.« Dieser letzte Satz klang fast ein wenig trotzig.
»Hale hat gestanden.
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