Schweig still, mein totes Herz (German Edition)
dieser Sache. »Nein. Ein Notfall in der Familie.« Na ja, Beinahe-Familie. Irgendwie. Mal abgesehen davon, dass Eli Hale für den Tod ihres Vaters verantwortlich war. Aber warum sollte Lena für seine Fehler mitbestraft werden? Und außer Caitlyn hatte sie ja auch niemanden mehr. »Ich muss nach Hause fahren, nach Evergreen.«
Eine weitere Gesprächspause folgte, weniger peinlich als traurig.
»Es tut mir leid«, sagte Caitlyn, und das war aufrichtig gemeint. Sie hätte nie zulassen dürfen, dass er damit begann, ein gemeinsames Leben zu planen, hätte das mit ihnen irgendwie beenden müssen, ehe es ernst wurde. Aber er mit seiner liebenswerten Art hatte es ihr nun mal so verdammt leicht gemacht, mit ihm zusammen zu sein, und nach alldem, was sie im vergangenen Jahr durchlitten hatte, war das genau was sie brauchte: Paul war liebenswert und unkompliziert, in keiner Weise bedrohlich.
»Ich verstehe. Beim nächsten Mal vereinbaren wir gemeinsam einen Termin, damit nichts dazwischenkommt. Fahr vorsichtig. Und ruf mich an, sobald du da bist.«
Was sollte sie darauf erwidern? Nichts, außer: »Das mache ich«.
»Ich liebe dich.« Er legte auf, ehe sie zu einer weiteren Lüge ansetzen konnte.
Caitlyn starrte das Handy in ihrer Hand an. Sie wollte nicht mehr lügen. Bei ihrem nächsten Treffen würde sie Paul die Wahrheit sagen. Dass sie ihn nicht liebte. Nicht einmal wusste, ob sie überhaupt dazu in der Lage war, jemals irgendjemanden zu lieben, jedenfalls nicht so, wie es derjenige verdient hätte. Da war ein großer Teil ihres Herzens, in den sie niemanden hineinließ.
Sie war unfähig, Liebe zu schenken. Daran war niemand schuld, so war sie eben veranlagt. Besser, sie beendete die Beziehung, ehe er verletzt wurde.
Wem wollte sie etwas vormachen? Es war absolut unmöglich, sich von Paul zu trennen, ohne ihm wehzutun.
Der Nachtisch lag ihr wie ein Stein im Magen, ein schwerer, mit klebrigem Schuldgefühl überzogener Klumpen.
Jetzt konnte sie ebenso gut auch noch ihre Mutter anrufen, um den miesen Tag komplett zu machen.
Ihre Schuldgefühle wurden durch Lenas Gesicht, das ihr vom Foto entgegenlächelte, noch verstärkt. Was, wenn Caitlyn sie nicht fand? Das arme Mädchen, sie wusste nicht einmal, dass ihr Vater tot war.
Herrje, sie hätte mit Paul an den Strand fahren sollen. Nichts war schlimmer, als Angehörigen die Nachricht vom Tod eines Familienmitglieds zu überbringen; das hatte Caitlyn während ihrer kurzen Zeit beim Zentrum für Kinder in Not gelernt.
Ihr Handy klingelte schon wieder. Mom. Wie zum Teufel schaffte sie das nur? Irgendwie gelang es ihr immer, Caitlyn anzurufen, bevor sie es tun und sich damit ein paar Pluspunkte verdienen konnte.
»Caitlyn, was ist los?«, fragte Jessalyn Tierney. Sie klang außer sich, was nicht ungewöhnlich war, da sie immer dann anzurufen schien, wenn etwas in Caitlyns Leben furchtbar schieflief. Als Caitlyn beinahe gestorben wäre – zwei Mal –, nachdem sie einen Mann getötet hatte, dann bei der Notoperation am Gehirn. Der emotionale Notfallradar ihrer Mutter war äußerst präzise.
»Nichts ist los. Wieso?«
»Paul hat mich gerade angerufen. Er hat sich erkundigt, ob er irgendwie helfen könnte. Du hättest den Wochenendtrip abgesagt, weil es einen dringenden familiären Notfall gäbe.«
So ein Mist. »Paul hat dich angerufen?«
»Natürlich. Wer, glaubst du, hat ihm dabei geholfen, an einem Brückenwochenende so ein großartig gelegenes Ferienhaus zu finden?« Ihre Mutter hatte die Vorliebe der Tierneys für Immobiliengeschäfte geerbt, genau wie Onkel Jimmy. Nachdem Caitlyn zum Studieren von zu Hause ausgezogen war, hatte Jessalyn ihren Lebensmittelpunkt wieder nach North Carolina verlegt und gemeinsam mit Jimmy ein Maklerbüro in Charlotte eröffnet. Nicht einmal die Immobilienblase hatte dem Geschäft etwas anhaben können.
»Du wusstest von dem Wochenende und hast mich nicht vorgewarnt?«
»Er wollte dich überraschen. Ich glaube, er hat sich auch nach einem Ring umgesehen. Selbstverständlich habe ich ihm meinen Segen gegeben. Wird ja auch höchste Zeit, dass du heiratest und eine Familie gründest.«
»Mom, ich bin gerade erst …« Nein. In diese Falle würde sie gar nicht erst hineintappen. Ein Streit mit ihrer Mutter glich einem Möbiusband – er nahm einfach kein Ende. Nie mehr. »Moment. Darüber hat Paul mit dir gesprochen?«
»Wir reden ständig miteinander«, erwiderte Jessalyn leichthin. »Nun, vielleicht nicht ständig. Seit
Weitere Kostenlose Bücher