Schweig still, mein totes Herz (German Edition)
abgegriffenem Ledereinband.
Caitlyn musste schlucken, als ihr Blick auf das erste Foto fiel: Vonnie und sie selbst lachten ihr als kleine Mädchen entgegen, dick in mit Schlamm besudelte Schneeanzüge eingemummelt. Auf dem nächsten Bild warf Eli Hale die kleine Lena mit ihrer Windel in die Luft, während Vonnie entzückt in die Hände klatschte und zu ihr aufschaute. Daneben stand ein Foto von Lenas Mutter, die es sich auf der Veranda ihres Hauses in Evergreen gemütlich gemacht hatte, Erbsen pulte und gerade lächelnd aufsah.
Alles ewig lange her. Aufnahmen, die lange vor der Zeit entstanden waren, an die sich Lena bewusst erinnern konnte. Zwei Bilder waren neueren Datums: Lena, Vonnie und ihre Mutter bei Lenas Highschool-Abschluss und ein Bild der beiden Schwestern in einem Restaurant, ausgelassen und die Arme umeinandergelegt.
Die ganze Familiengeschichte auf einer Anrichte versammelt. Und jetzt war nur noch Lena übrig. Caitlyns Lippen, die sich beim Anblick von Vonnies glücklichem Gesichtsausdruck zu einem Lächeln verzogen hatten, wurden schmal, sobald ihr wieder einfiel, dass sie Lena über den Tod ihres Vaters unterrichten würde.
Seufzend wandte Caitlyn sich den Aufzeichnungen zu. Die Landkarten zeigten Qualla Boundary, das Gebiet, in dem die Östlichen Cherokee beheimatet waren. Eine stammte aus dem Jahr 2010, eine andere zeigte dasselbe Land im Jahr 1883. Es gab einen Stapel Bücher: Ausgaben der Zeitschrift
Duke Law Review
mit Artikeln von Studenten zu verschiedenen Rechtsthemen, Gerichtsunterlagen des Obersten Gerichtshofes der Cherokee sowie vom Bezirksgericht von Oklahoma und Gerichtsentscheide des Staates North Carolina. Neben diesen dickeren Bänden fand Caitlyn Kopien einzelner Fälle auf Bezirks- und auf Bundesebene. Den Inhaltszusammenfassungen nach befassten sie sich alle mit der Geschichte der Sklaven unter den Cherokee bis hin zu ihrer Befreiung.
Sie fotografierte die eingerahmten Bilder mit ihrem Handy ab. Auch die Deckblätter der einzelnen Rechtsartikel, alle Whiteboards, den mit Namen und unverständlichen Notizen vollgekritzelten Kalender. Ihre Hausaufgabe für heute Abend.
»Sie hat an einem Artikel für die
Duke Law Review
gearbeitet«, erklärte die Mitbewohnerin, als sie wiederkam und Caitlyn einen Ausdruck überreichte, auf dem Lenas Foto zu sehen war, und darunter alle nötigen Informationen. »Das hier hat sie vor ein paar Wochen auf Facebook gepostet. Außerdem habe ich noch eine Kopie ihres Studentenausweises beigefügt, von ihrem Führerschein und den Wagenpapieren.«
»Die hat sie nicht bei sich?«
»Doch. Aber wenn sie auf Recherchetour ist, dann vergisst sie öfter alles um sich herum.« Die Mitbewohnerin deutete auf das Material, das jede Oberfläche in dem Zimmer bedeckte. »Mehr als einmal hat sie dabei ihre Handtasche verloren, deswegen hat sie Kopien der wichtigsten Papiere hier in der Wohnung. Das macht es einfacher, die ganzen Unterlagen neu zu beantragen.«
»Die Kreditkarteninformationen haben Sie aber wohl kaum da?«
»Doch, klar. Sie hat allerdings nur eine Debitkarte, da ihre Mutter nichts von Kreditkarten hielt.« Sie atmete laut seufzend aus und ordnete die Fotos, die Caitlyn auf der Anrichte zusammengeschoben hatte. »Ich hoffe, es geht ihr gut.«
Caitlyn entdeckte einen Stapel Unterlagen, der etwas abseits in einer Ecke lag, als handele es sich um ein Randergebnis der Nachforschungen. Lauter Abschriften von Unterlagen aus dem Staatsarchiv von Raleigh über Landschenkungen in Qualla Boundary, außerdem Zensusdaten aus dem Gebiet.
»Wissen Sie, um was es hierbei geht?« Caitlyn nahm das oberste Blatt in die Hand, eine Titelseite mit der Aufschrift: ›Grundbuch R, 1880–1882: Einträge der Östlichen Cherokee‹, und zeigte es der Mitbewohnerin.
»Das war es, was ich Ihnen am Telefon erzählt habe. Nachdem Lena erkannte, dass sie die Unschuld ihres Vaters nicht beweisen konnte …«, sie rang mit der Formulierung, war zu höflich, um Eli Hale geradeheraus für schuldig zu erklären, »… hat Lena mit der Arbeit an dem Artikel begonnen. Darin sollte es eigentlich um die Cherokee in Oklahoma gehen, aber sie wollte herausfinden, ob es bei den in North Carolina verbliebenen Östlichen Cherokee möglicherweise bereits Präzedenzfälle gegeben hatte. Vermutlich hat sie das interessiert, weil ihre Familie dort genau am Rand des Indianergebiets gelebt hat. Ich weiß nicht genau, was dabei herauskam, auf jeden Fall wurden die Hales wohl in irgendeinem
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