Schweig still, mein totes Herz (German Edition)
größten Teil des Vormittags über eingehüllt gewesen war. Der Schnee war auch geschmolzen, aber so, wie sich die Wolken über den Bergen im Westen zusammenbrauten, würde es sicherlich bald wieder schneien. Gegen den kalten Wind knöpfte sie sich den Mantel zu. Die Waffe in ihrer nackten Hand war kalt und schwer.
Im Tageslicht konnte sie sehen, weshalb sie gestern Nacht die Orientierung verloren hatte. Die Lodge mit ihren Hütten stand auf einer Lichtung, die in den dichten Wald geschlagen worden war. Die Hütten lagen etwa fünfzehn bis zwanzig Meter voneinander entfernt, mit genug Abstand für Privatsphäre. Schaute man auf das in der Mitte gelegene Haupthaus, mit seinen alten, dicken Holzbalken, so machte die Anlage einen weitläufigen Eindruck. Am Rand der Lichtung jedoch ragten dicht an dicht die Bäume auf, wie eine dunkle Herausforderung. Hier begann die wilde Natur.
Nur weit entfernt waren im Süden und Osten über den Baumwipfeln die Berge jenseits des Tals zu erahnen. Im Norden und Westen ragten zerklüftete schneebedeckte Spitzen mit bewaldeten Hängen im Nebel auf und schluckten das Sonnenlicht.
Die Landschaft war hier so ganz anders als im Hayti-Bezirk in Durham, in dem Lena aufgewachsen war. Sie fühlte sich fremd und unbehaglich.
Mit gebeugtem Kopf und gespannten Sinnen hastete sie über die Lichtung zu der Hütte, wo ihr Honda neben einem großen schwarzen Pick-up stand. Als sie sich den beiden Wagen näherte, hörte sie Affenlaute hinter sich.
»Smokey! Dir ist nichts passiert.« Sie steckte die Waffe ein und breitete die Arme aus. Überrascht stellte sie fest, wie erleichtert sie war, die Schimpansin wiederzusehen. Smokey stürzte auf sie zu, bremste in letzter Sekunde ab, um Lena nicht umzurennen und presste die Nase an Lenas Brust, an ihr Gesicht, ihren Hals, während sie ihren ganzen Körper abklopfte, wie um sie nach Verletzungen abzusuchen.
»Mir geht es gut. Wo sind deine Freunde?« Lena schaute sich um. Von den anderen Schimpansen war nichts zu sehen. Hoffentlich hatte der Leopard sie nicht erwischt. Nein. Dann hätte er sich ja nicht den ganzen Morgen über bei Bernies Hütte rumgetrieben, sondern sich an seiner Beute gütlich getan.
Sie nahm Smokey an der Hand und fühlte sich gleich besser, jetzt, da die Schimpansin bei ihr war. Es war verrückt, aber in weniger als einer Woche war ihre ganze Welt auf den Kopf und alles, woran sie geglaubt hatte, infrage gestellt worden. Nur ihr Glaube war ihr noch geblieben, und selbst der hatte gelitten. Obwohl Er ihr viel Gutes geschickt hatte. Smokey und ihre Familie, Bernie, der genau rechtzeitig gekommen war, um Lena das Leben zu retten, der ihr inmitten dieser Verzweiflung Trost und Beistand spendete.
Während sie mit Smokey über das braune, vom Schnee aufgeweichte Gras rannte, schickte sie ein Stoßgebet in den Himmel, bis hoch zum höchsten Gipfel über ihnen. Ein großer Vogel tauchte am Himmel auf, schraubte sich immer weiter nach oben auf die Sonne zu. Sie lächelte. Gott hörte immer noch zu. Was konnte sie sich mehr wünschen?
Die Antwort kam schneller, als es ihr lieb war. Als Lena vor dem Honda stand, stellte sie fest, dass er bis zu den Radkappen im Schlamm steckte. Die Reifen waren platt. Alle vier. Bei dem Truck war es dasselbe.
Irgendjemand war hier gewesen und hatte die Reifen zerstochen. Bernie? Nein, warum sollte er seine eigene Flucht verhindern? Außerdem hätte er einfach nur die Wagenschlüssel verstecken müssen.
Sie umrundete beide Fahrzeuge, dabei blickte sie immer wieder über die Schulter. Die Schlüssel von Bernies Wagen steckten. Also hatte Bernie die Reifen definitiv nicht zerstochen. Und auch nicht der Leopard und auch kein Affe.
Sie blieb auf der Beifahrerseite des Hondas stehen, direkt neben Bernies Truck und der Hütte, in der sie gefangen gewesen war. Einer Panik nahe drehte sie sich um sich selbst, erwartete, einen Mann mit einem Messer vor sich zu sehen. Aber da war nichts. Nur der Wind, der welkes Laub über den Rasen wehte.
Dennoch blieb das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie wandte sich gerade wieder der Hütte zu, als Smokey ein leises, kehliges Geräusch machte und sie am Arm zog.
Lena blickte nach oben. Der Leopard stand mit gekrümmtem Rücken auf dem Holzdach, als setze er gerade zum Sprung an.
29
Caitlyn wirbelte zu Bearmeat herum. »Sie glauben, dass Tommy Shadwick wegen eines Stücks Papier umgebracht wurde?«
Bearmeat zuckte mit den Achseln. »Wissen Sie, dass kaum noch jemand über
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