Schweig still, mein totes Herz (German Edition)
verstorben.« Bearmeat musste nicht wissen, dass ihr Vater sich umgebracht hatte. Oder weswegen.
»Tierney. Oh ja, ich erinnere mich. Lena war nicht so sehr an seinem Tode interessiert, als vielmehr an dem damaligen Abkommen mit den freigelassenen Sklaven.«
»Was ist damit?«, fragte Caitlyn, kurz davor, Bearmeat an die Gurgel zu springen.
Paul antwortete. »Du hast doch vom Pfad der Tränen gehört, nicht wahr? Als 1839 der Großteil der Cherokee von ihrem Land vertrieben wurde und nach Oklahoma zog. Einige wenige blieben jedoch hier zurück, außerdem sind viele später wieder nach North Carolina zurückgekommen. Sie selbst durften zwar kein Land besitzen, aber Will Thomas, ein Weißer, der in den Stamm aufgenommen wurde, schon. Er begann damit, für seinen Stamm Land in Qualla Boundary aufzukaufen. Doch dann kam der Bürgerkrieg. Thomas stellte eine Truppe Cherokees aus der Gegend zusammen und sie kämpften auf der Seite der Konföderation.«
Caitlyn schüttelte den Kopf; Geschichte war nie ihre Stärke gewesen. »Also haben sie auf der Verliererseite gekämpft.«
»Das ist nicht der springende Punkt«, sagte Bearmeat. »Das Recht auf Sklavenhaltung wurde auch in der Cherokee Nation durch den National Council Act von 1863 abgeschafft. Als dann der Bürgerkrieg vorbei war, wurden die ehemaligen Sklaven Bürger der Cherokee Nation, so, wie es in dem Vertrag der zwischen den Oklahoma Cherokee und der Regierung ausgehandelt worden war.«
»Also sind die Schwarzen von heute Cherokee.«
»Das wird kontrovers diskutiert. Und eben mit dieser Frage hat Lena sich beschäftigt.«
»Denn«, sagte Paul, »die Fälle, die seit den 1980er-Jahren sowohl vor Stammesgerichten als auch auf Bundesebene verhandelt worden sind, lassen sich nicht so leicht auf die Östlichen Cherokee übertragen.«
Die weitere Erklärung übernahm Bearmeat. Die beiden Männer harmonierten perfekt, obwohl Bearmeat sich sein Leben lang mit diesem Thema beschäftigt hatte, Paul hingegen nur ein paar Stunden. Unter anderen Umständen wäre sie vielleicht beeindruckt gewesen, aber in ihrer Ungeduld hoffte sie vor allem, die beiden würden endlich auf den Punkt kommen.
»Nach dem Bürgerkrieg, haben die Östlichen Cherokee ein Abkommen mit den ehemaligen Sklaven geschlossen«, erklärte Bearmeat. »Die Indianer konnten den Vertrag mit der Regierung nicht brechen, ohne den unsicheren Status zu gefährden, den sie als Mitkämpfer auf der Seite der Konföderierten erlangt hatten. Gleichzeitig aber bestand ihre einzige Chance, als Cherokee Nation weiterexistieren zu können, darin, sich nicht mit anderen Rassen zu vermischen.«
»Ich bin immer noch nicht schlauer, was das für ein Abkommen sein soll.« Keiner der Männer schien die Ungeduld in ihrer Stimme herauszuhören. Denn sonst hätten sie sich etwas knapper gefasst.
»Es war ein Abkommen mit den Schwarzen«, erklärte Paul »Die Östlichen Cherokee konnten sie nicht einfach von ihrem Land vertreiben, nicht ohne dass sich die Regierung eingemischt hätte. Also haben sie den Schwarzen Land angeboten, über das sie frei verfügen konnten. So konnten sie innerhalb der Reservatsgrenze als Mitglieder der von der amerikanischen Regierung anerkannten Cherokee Nation leben, mussten im Gegenzug allerdings ihre Stammesrechte abtreten.«
»Nach dem Bürgerkrieg konnte sich hier in der Gegend kaum noch jemand Land leisten. Und dieses Land innerhalb von Qualla Boundary sollten die ehemaligen Sklaven umsonst bekommen, es würde ihnen für immer zur Verfügung stehen. Unter der Bedingung, dass sie niemals die Rechte vollwertiger Stammesmitglieder für sich beanspruchen würden.«
»Wie kam Lena darauf, dass mein Vater etwas mit irgendeinem Abkommen zu tun haben könnte, das vor über hundert Jahren geschlossen wurde?«
Bearmeat gab keine Antwort. Stattdessen erhob er sich, legte seine Serviette zur Seite und stellte die Tasse neben der Kaffeemaschine ab. Dann zog er direkt darunter eine große flache Aktenschublade auf. Caitlyn hatte angenommen, dass in den sehr flachen, aber breiten und tiefen Laden Landkarten verstaut waren.
Statt einer Karte zog Bearmeat jedoch ein großes dünnes Blatt Papier hervor: den Faksimiledruck eines alten Pergaments.
Er trug das Dokument zu einem großen leeren Tisch und legte es dort ab. Caitlyn und Paul traten dazu. »Das ist bloß eine moderne Kopie«, sagte er, obwohl er sich gleichzeitig gebärdete, als handele es sich um Tutanchamuns Grabschmuck. Caitlyn drängte sich
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