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Schweig um dein Leben

Schweig um dein Leben

Titel: Schweig um dein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois Duncan
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niemals erlaubt hätten. So wie ich Dad verstanden hatte, war er fest entschlossen, die Familie zusammenzuhalten, egal wie furchtbar die Umstände waren, und Mom würde nicht wollen, dass ich bei Lorelei lebte, und wenn es nur für mein letztes Highschool-Jahr war. Sie fand Loreleis Lebensstil maßlos und oberflächlich, während meine Großmutter nicht verstehen konnte, warum ihre Tochter sich mit so wenig begnügte. Mom hatte sich von der innigen Beziehung zwischen meiner Großmutter und mir immer bedroht gefühlt, vermutlich weil sie Angst hatte, dass Loreleis Vorstellungen auf mich abfärben könnten. Mir blieb also nichts anderes übrig, als darauf zu vertrauen, dass meine Eltern mich genügend liebten, um mich zu verstehen und mir irgendwann zu verzeihen.
    Ich legte mich wieder ins Bett und ging in Gedanken die Details meiner Flucht durch, während die Sonne langsam höher stieg und die Schatten der Blätter auf der rissigen Wand gegenüber dem Fenster in immer neuen Mustern anordnete. Nach Norwood zu kommen würde nicht das Problem sein. Das Risiko bestand darin, dass meine Eltern von meinem Vorhaben Wind bekommen und mich am Flughafen von Sarasota abfangen würden, bevor der Flieger abgehoben hätte. Im Idealfall aber sollten sie meine Abwesenheit erst bemerken, wenn ich schon bei Lorelei war. Dafür brauchte ich eine Art Alibi, und zwar nicht nur für den Tag, an dem ich fliegen würde, sondern auch für den nächsten. Und ich wusste auch schon, wie ich es mir besorgen würde.
    Nachdem Dad zum Laden gefahren war und ich mit Mom allein in der Küche saß, fragte ich sie, ob ich das Wochenende bei Kim verbringen könnte.
    »Kims Eltern besuchen Verwandte in Miami. Sie hat keine Lust mitzufahren, aber ihre Eltern wollen sie nicht allein zu Hause lassen«, fügte ich erklärend hinzu, was natürlich erfunden war, weil Kim sehr wohl Lust hatte, ihre Eltern zu begleiten.
    Es hatte mal eine Zeit gegeben, in der ich Mom nicht anlügen konnte. Genauer gesagt war es mir schon immer schwergefallen, nicht die Wahrheit zu sagen. Aber in den letzten drei Monaten hatte ich so viel Übung darin bekommen, anderen etwas vorzumachen, dass mir die Worte ganz leicht über die Lippen gingen.
    Wie erwartet hatte Mom nichts dagegen.
    »Es ist schön, dass du hier eine Freundin gefunden hast«, sagte sie und strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn. Der zweite Teil des Satzes blieb unausgesprochen: Weil wir noch eine sehr lange Zeit hier festsitzen werden.
    Der Rest meines Plans ließ sich genauso einfach in die Tat umsetzen. Da Mom den ganzen Tag zu Hause war, konnte ich den Flug nicht von dort aus buchen, also ging ich in die Stadt in das einzige Internetcafé. Ich schien das Schicksal auf meiner Seite zu haben, denn ich bekam tatsächlich noch einen Platz in der Nachmittagsmaschine am nächsten Tag. Beim Abendessen nagte dann doch das schlechte Gewissen an mir, denn trotz der schlimmen Auseinandersetzung, die sie am Abend zuvor gehabt hatten, gaben meine Eltern sich unglaublich Mühe, sich ihren Kummer vor uns nicht anmerken zu lassen. Das machte es schwieriger, als wenn sie kühl miteinander umgegangen wären, weil es mich an glücklichere Zeiten erinnerte. Als ich so dasaß, ihren vertrauten Stimmen zuhörte, wie sie sich über dies und das unterhielten, war ich auf einmal zutiefst traurig und wusste, dass ich meine Familie schrecklich vermissen würde. Aber ich hielt mich an dem Gedanken fest, dass unser Abschied nicht für immer sein würde. Irgendwann würde der Tag kommen, an dem auch sie nach Virginia zurückkehren würden, und in der Zwischenzeit wusste ich, wo sie waren, und konnte ihnen schreiben, auch wenn sie auf meine Briefe nicht antworten würden.
    Am nächsten Morgen stand ich früh genug auf, um mit meinem Vater frühstücken zu können, und drückte ihn, bevor er zur Arbeit aufbrach, noch einmal fest an mich.
    Er wirkte überrascht über die ungewöhnliche Liebesbekundung, schien sich aber sehr darüber zu freuen.
    »Hab einen schönen Tag, Schatz«, sagte er mit einem warmen Lächeln. »Wir sehen uns dann heute Abend.«
    »Ich bleibe übers Wochenende bei Kim«, erinnerte ich ihn.
    »Ach ja, stimmt, das hab ich ganz vergessen«, sagte Dad. »Dann benehmt euch anständig und feiert keine wilden Partys, nur weil Kims Eltern nicht da sind.« Er gab mir mit einem Zwinkern zu verstehen, dass er bloß Spaß gemacht hatte, und ich war froh, dass er keine Ahnung hatte, wie es auf der Party letztes Wochenende

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