Schweig um dein Leben
zugegangen war.
Nach dem Frühstück ging ich in mein Zimmer und packte. Ich konnte nur das Nötigste mitnehmen, obwohl ich nicht wusste, was von meinen Sachen, die ich in Norwood hatte zurücklassen müssen, noch da war. Der Gedanke war schmerzlich, dass das wunderschöne Ballkleid, das ich kein einziges Mal getragen hatte, in einem Secondhandladen oder Altkleiderlager gelandet war, aber da unser Haus und unsere Möbel verkauft worden waren, konnte es gut sein, dass mit unseren persönlichen Dingen das Gleiche passiert war.
Es war früher Vormittag, als ich schließlich in die Küche kam, wo Mom wie immer am Tisch saß und auf der Schreibmaschine vor sich hin tippte.
»Ich dachte, du hast Dad versprochen, es nicht einzureichen«, sagte ich.
»Werde ich auch nicht, aber ich muss es trotzdem fertigschreiben«, sagte Mom. »Ich schaffe es einfach nicht, mittendrin aufzuhören und es nicht zu Ende zu bringen. Das Schreiben ist nun mal ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Es ist das, was mich ausmacht.« Sie zuckte mit den Achseln und zeigte auf meine Tasche. »Du willst das doch nicht alles allein zu Kim rübertragen? Warum lässt du es nicht hier und Dad fährt es dir später vorbei?«
»Ist nicht schwer«, winkte ich ab. »Und ich hab meine Trainingssachen dabei. Wenn es nicht regnet, wollen wir vielleicht gleich noch ein bisschen Tennis spielen.«
»In der Hitze?«, rief Mom. »Ihr müsst verrückt sein. Dann setz dir aber bitte einen Hut auf, damit du keinen Sonnenstich bekommst.«
Wie konnte ich jemanden betrügen, der mir so vollkommen vertraute? Einen Augenblick lang war ich kurz davor, einzuknicken. Dann dachte ich daran, was sie gerade gesagt hatte – dass das Schreiben ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens sei und es das war, was sie ausmachte. Da wurde mir klar, dass es mir ganz ähnlich ging. Ich war April Corrigan, Steves Freundin, die »Prinzessin« der Springside Academy, der Star des Tennisteams, ein Mädchen, das garantiert an der Duke University aufgenommen werden würde, weil sowohl ihre Mutter als auch ihre Großmutter dort studiert hatten. Ich war nicht Valerie Weber, die nur zum Spaß Tennis spielte und sich damit begnügen musste, an einem College zu studieren, von dem noch nie jemand etwas gehört hatte.
Also schluckte ich meine Schuldgefühle hinunter, küsste Mom zum Abschied auf die Wange und ging. Jason und seine beiden Freunde spielten draußen Basketball – eine ihrer neuen Lieblingsbeschäftigungen, seit Dad an der Seitenwand des Carports einen Korb angebracht hatte. Als er mich mit meiner Reisetasche aus dem Haus kommen sah, hielt er mit dem Ball in der Hand inne und sah mich mit großen braunen Augen an.
»Sieht aus, als würdest du auf eine Mini-Tour gehen«, sagte er.
»Ich bin übers Wochenende bei Kim«, antwortete ich.
»Da fällt mir ein, dass ich ganz vergessen hab, dir auszurichten, dass dein Freund gestern angerufen hat.« Jason ließ den Ball einmal auf dem Boden aufprallen und fing ihn wieder auf. »Ich hab ihm gesagt, dass du grade unterwegs bist, und er meinte, er würde es noch mal versuchen.«
»Larry Bushnell ist nicht mein Freund«, sagte ich. »Er ist ein überheblicher Vollidiot und ich will ihn nie wieder sehen.«
Ich drehte mich um und ging die Einfahrt entlang, blieb jedoch nach ein paar Metern noch einmal stehen und blickte zum Haus zurück. Einer der Jungs versenkte gerade den Ball im Korb, und einen Augenblick später wurde mir klar, dass es Jason war. Erst jetzt fiel mir auf, wie sehr mein kleiner Bruder sich in der kurzen Zeit, seit wir Norwood verlassen hatten, verändert hatte. Er war in die Höhe geschossen und hatte seine kindlichen Züge verloren. Wie würde er aussehen, wenn ich ihn das nächste Mal sah?
Aus einem spontanen Impuls heraus stellte ich die Tasche ab, rannte zu ihm zurück und drückte ihn fest an mich.
»Wofür war denn das?«, fragte Jason peinlich berührt.
»Einfach nur so«, sagte ich.
»Warum?«
»Weil ich dich lieb hab.«
»Meine Schwester ist sonst nicht so schmalzig«, brummte er seinen Freunden verlegen zu, während er versuchte, sich aus meiner Umarmung zu befreien.
Der Weg in die Stadt dauerte normalerweise nicht länger als eine Viertelstunde, aber da meine Reisetasche schwerer war, als ich es Mom gegenüber zugegeben hatte, musste ich ständig stehen bleiben, um sie von einer Schulter auf die andere zu hieven. Ich schaffte es trotzdem, rechtzeitig bei der Tankstelle auf der Hauptstraße zu sein, um den
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