Schweig um dein Leben
hier bist?«, fragte Lorelei.
»Sein Bruder Billy, Sherry und seine Eltern, nehme ich an.«
»Dann müssen wir noch heute Abend aufbrechen.«
»Wir?« Ich glaubte, mich verhört zu haben. »Hast du wir gesagt?«
»Nachdem du angerufen hast, habe ich lange nachge dacht und schließlich beschlossen, dass ich mit dir gehen werde, wenn du wirklich hier auftauchst«, sagte Lorelei. »Die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen, das kannst du mir glauben. Ich bin so sehr mit Norwood verwurzelt – alle meine Freunde sind hier, meine gesellschaftlichen Aktivitäten, die ich so sehr liebe, die Erinnerungen an mein Leben mit deinem Großvater. Aber nichts davon ist so wichtig wie das Wohl der eigenen Familie. Dein Vater ist ein liebenswerter Träumer, der nie wirklich erwachsen geworden ist, und deine Mutter lebt in einer anderen Welt, in der es außer euch nur ihre Bücher gibt. Es ist meine Pflicht, für sie da zu sein, wenn sie mich brauchen.«
»Aber du weißt doch gar nicht, wie wir jetzt leben«, sagte ich. »In einem Provinzkaff in Florida namens Grove City. Dort gibt es weder ein Theater noch einen Country Club, es gibt noch nicht mal ein richtiges Restaurant, nur einen McDonald’s und den Cabbage Palm Grill.«
»Dann werde ich meine Cocktailkleider wohl hierlassen«, seufzte Lorelei. »Ich kann mit dem Gipsarm keinen Koffer packen, du wirst mir also helfen müssen. Sofort danach beladen wir den Wagen und verschwinden von hier. Je schneller und weiter wir Norwood heute Abend noch hinter uns lassen, desto besser ist es.«
»Weißt du noch, wie die Augen von dem Mann ausgesehen haben, der dich überfallen hat?«
Lorelei schauderte. »Sie waren schwarz wie die Nacht.«
FÜNFZEHN
In weniger als einer Stunde waren wir bereit zum Aufbruch. Lorelei dirigierte mich durch das Apartment, zeigte mir, was sie mitnehmen wollte, und ich packte die Sachen in die beiden Koffer, die ich aus ihrem Schrank geholt hatte. Ihre Cocktailkleider ließ sie tatsächlich zurück, nahm aber zu meiner Überraschung ihre Hermelin-Stola, den kompletten Inhalt ihrer Schmuckschatulle, einen Hosenanzug aus Rohseide und acht Paar High Heels mit. Alles andere hatte eher sentimentalen Wert: eine Porzellanpuppe aus ihrer Kindheit, eine Familienbibel und jede Menge Fotos. Eines davon, ein gerahmter Schnappschuss, zeigte sie und ihren Mann Clyde in ihren Flitterwochen, wie sie sich auf dem Balkon eines französischen Hotels verliebt anlächelten. Sie sahen wie Filmstars aus einem alten Schwarz-Weiß-Film aus. Ein anderes zeigte meinen Großvater, mit schon schütterem Haar und einem Gesicht voller Lachfältchen. Unwillkürlich tauchte Jim Peterson vor meinem inneren Auge auf und ich schob das Bild energisch weg.
»So, das müsste reichen«, sagte Lorelei, als schließlich auch der zweite Koffer zu war. »Der Rest ist unnützes Zeug.«
»Aber was ist mit deinen ganzen wunderschönen Designer-Kleidern?«, fragte ich. »Lass uns doch wenigstens ein paar von ihnen einpacken.«
»Kein Platz«, sagte Lorelei achselzuckend. »Vergiss nicht, wir fahren nicht mit dem SUV deiner Mutter, sondern mit meinem Porsche. Und außer den Kartons, die ich für deine Eltern aufbewahrt habe, müssen wir auch noch Platz für Porky freihalten. Wenn es nach mir ginge, könnte die kleine Töle zwar ruhig hierbleiben, aber das würde dein Bruder mir nie verzeihen.«
Loreleis Wagen stand auf dem kleinen Stellplatz vor ihrem Apartment. Ich packte die Kartons in den Kofferraum und legte die beiden Koffer und meine Reisetasche auf die Rückbank. Während ich zwischen dem Apartment und dem Porsche hin- und herlief, hing Porky hechelnd an meinen Fersen, als hätte er Angst, schon wieder zurückgelassen zu werden. Bei meinem dritten Gang zum Wagen gelang es ihm schließlich, sich zwischen das Gepäck auf der Rückbank zu quetschen. Er wirkte so glücklich, mit uns kommen zu können, dass ihn sein unbequemes Lager offenbar nicht im Mindesten störte.
Nachdem ich alles eingeladen hatte, wartete ich in der Diele auf Lorelei, die ein letztes Mal durch das Apartment ging und prüfte, ob die Fenster geschlossen waren und kein Licht mehr brannte. Als sie zurückkam, hatte sie meinen Tennisschläger dabei.
»Den hat Jodi neulich vorbeigebracht«, sagte sie. »Sie meinte, dass du auf Turnieren am liebsten mit dem spielst.«
»Ich darf im Moment an keinen Wettkämpfen teilnehmen«, sagte ich. »Dad hat Angst, dass mein Foto in der Zeitung auftaucht.«
»Tatsächlich?« Lorelei
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