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Schweig um dein Leben

Schweig um dein Leben

Titel: Schweig um dein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois Duncan
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Zimmer 129 halten. Ich holte meine Reisetasche und den kleineren von Loreleis Koffern von der Rückbank und ließ Porky nach draußen. Kaum war er aus seinem engen Gefängnis befreit, flitzte er auch schon in das Gebüsch am Parkplatzrand. Auf dem Weg zurück bellte er aufgeregt in Richtung eines schwarzen Camaro, der ein paar Meter weiter weg parkte.
    »Aus, Porky!«, rief Lorelei streng und sah dann mich an. »Ruf ihn her und schließ ihn wieder im Wagen ein. Hunde sind auf den Zimmern nicht erlaubt.«
    »Aber …«
    »Keine Diskussion«, schnitt Lorelei mir das Wort ab. »Wenn wir ihn bei uns schlafen lassen, wird er jedes Mal, wenn jemand an der Tür vorbeigeht, anschlagen. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Und stell das Auto anschließend ein Stückchen weiter weg, damit er mit seinem Gekläffe die anderen Motelgäste nicht belästigt.«
    Widerwillig parkte ich den Porsche um und entschuldigte mich bei Porky, der mich so enttäuscht ansah, dass es mir fast das Herz brach. Dann ging ich zu unserem Zimmer zurück, trug die Koffer rein und schloss sorgfältig hinter mir ab. Als ich Lorelei fragte, ob sie als Erste ins Bad wolle, winkte sie ab. Es sei die reinste Zumutung, sich mit einem Gipsarm zu waschen, sie verschiebe es lieber auf den nächsten Morgen. Ich hätte zwar auch im Stehen einschlafen können, fühlte mich aber zu klebrig, um ohne zu duschen ins Bett zu gehen.
    Ich blieb eine halbe Ewigkeit unter dem wohltuend warmen Wasserstrahl stehen, und als ich schließlich ins Zimmer zurückkam, lag meine Großmutter angezogen auf einem der beiden Betten und schlief tief und fest.
    Einen Moment lang stand ich einfach nur da und blickte auf sie hinunter, erschrocken, wie sehr sie gealtert war, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Der unförmige Gips hob ihre Zerbrechlichkeit noch stärker hervor und ihr fein geschnittenes Gesicht offenbarte Falten und Schatten, die sonst von Make-up überdeckt waren. Aber am meisten erschütterte mich, dass ihre honigblonden Haare am Ansatz steingrau waren.
    Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, zog ich ihr die Schuhe aus und stellte sie neben ihren ungeöffneten Koffer. Dann nahm ich die Wolldecke, die zusammengefaltet an ihrem Fußende lag, und deckte sie zu. Wieder beschlich mich das unbehagliche Gefühl, dass unsere Rollen sich vertauscht hatten und ich jetzt die Erwachsene von uns beiden war. Als ich das Deckenlicht ausschaltete und mich ebenfalls hinlegte, war ich fest davon überzeugt, auf der Stelle einzuschlafen. Aber kaum war es dunkel im Zimmer, war ich plötzlich wieder hellwach und mich befiel dieselbe nervöse Unruhe wie vor ein paar Stunden vor dem Geldautomaten. Es war schon spät, und in den angrenzenden Zimmern war alles still, trotzdem hatte ich das Gefühl, dass irgendwo in der Nähe jemand auf der Lauer lag und all seine Sinne nach mir ausstreckte.
    So leise wie möglich stand ich wieder auf und schlich zur Tür. Als ich meine Hand oberhalb des Knaufs auf das Holz legte, wusste ich instinktiv, dass jemand auf der anderen Seite stand und gerade genau dasselbe tat. Ich konnte förmlich spüren, wie er seine nächsten Schritte plante. Wegen der schweren Vorhänge vor den Fenstern konnte er vermutlich nicht wirklich erkennen, ob in unserem Zimmer noch Licht brannte. Aber seit wir das Zimmer betreten hatten, war genügend Zeit vergangen, um davon auszugehen, dass wir schliefen.
    Als Lorelei hinter mir plötzlich zu schnarchen anfing, zuckte ich zusammen. Das rasselnde Geräusch war so durchdringend, dass es das monotone Summen der Klimaanlage übertönte, und mein harter Herzschlag dröhnte so laut in meinen Ohren, dass ich mir sicher war, er sei noch meilenweit zu hören.
    Einen Atemzug später drang jedoch der entsetzlichste Laut, den ich jemals gehört hatte, an mein Ohr – das Kratzen von Metall, als etwas vorsichtig ins Schloss geschoben wurde. Vor meinem inneren Auge sah ich wieder vor mir, wie Lorelei den zweiten Zimmerschlüssel zurückgab. Der Nachtportier hatte offensichtlich mitbekommen, dass wir zu zweit waren. Was, wenn etwas später jemand zu ihm gegangen war, sich als Loreleis Begleitung ausgegeben und den zweiten Schlüssel hatte geben lassen?
    All das ging mir im Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf, bevor ich den Türriegel vorschob und mich dafür verfluchte, es vorhin vergessen zu haben. Als er einrastete, klang es, als würde ein Gewehrschuss durch die Stille hallen. Anschließend rannte ich zum Fenster und riss den Vorhang zur

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