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Schweig wenn du sprichst

Schweig wenn du sprichst

Titel: Schweig wenn du sprichst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roel Verschueren
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Packung Pampers stand bereit, feuchte Tücher und alles, was sie sonst brauchte.
    Victor hatte sich frisch gemacht, andere Sachen angezogen und half Lillys Bruder und ihrem Vater beim Holzstapeln. Lilly legte Moira in den Kinderwagen und machte mit ihrer Mutter einen Spaziergang. Eine Stunde später bereiteten sie das Abendessen vor.
    »Victor, möchtest du heute mal beten?«
    Victor schreckte hoch, sah alle am Tisch an: Katharina, die Zwillinge, Lillys Schwester, ihren Bruder, Markus, einen Nachbarn und Hausfreund, dann schaute er zu Lilly, die nur die Achseln zuckte und zu sagen schien: »Das ist dein Problem. Sieh mich nicht so an, ich kann dir nicht helfen.« Er räusperte sich, stand mit den Armen auf dem Rücken auf und sagte mit tiefer Stimme: »Herr … segne … diese Menschen und auch diese Speisen, die deine mildtätige Hand … ihnen gibt, durch Christus … ihren Herrn. Amen.«
    Während die Runde am Tisch das Gebet mit der Bekreuzigung beendeten, ließ Victor Lilly nicht aus den Augen. Sie verstand, wie geprügelt er sich fühlte.
    »Papa!«, sagte sie verärgert.
    »Ich weiß, ich weiß. Aber du darfst mir nicht übel nehmen, dass ich es weiter versuche«, sagte Markus mit einem Lächeln und löffelte seine Suppe.
    Markus war ein Patriarch in seinem Tal, mit seinem eigenen Stil und Tempo, nach dem jeder sich zu richten hatte. Es wurde gegessen, wenn er Hunger hatte, gebetet, wenn seine Hand zur Stirn wanderte, gesprochen, wenn er dazu aufforderte. Beim Abendessen fragte Markus Lilly, wo genau Victor gewohnt hatte, bevor er nach Wien gezogen war.
    »Papa, das kannst du Victor auch selber fragen. Ich helfe ihm, wenn es zu schwierig wird, seine Antwort auf Deutsch zu formulieren. Aber sprich Deutsch, nicht deinen unverständlichen osttiroler Dialekt. Das hilft.«
    Lillys Mutter brach in lautes Lachen aus, und auch die anderen am Tisch lachten.
    Victor beschrieb so genau wie möglich, wo er gelebt hatte, antwortete, dass nur seine Mutter noch am Leben war, bestätigte, dass er das »Lam Gods« kenne und gesehen habe und dass die politische Rechte stark im Aufwind sei.
    »Lass ihn doch jetzt essen, Markus«, sagte Lillys Mutter.
    »Und? Kennst du die Namen aller unserer Familienmitglieder schon auswendig?«, neckte Markus weiter.
    »Bevor wir losgefahren sind, musste ich ein Organigramm unserer Familie aufzeichnen, weil er sich keine Namen merken kann«, sagte Lilly
    »Ich hab ein selektives Gedächtnis«, sagte Victor entschuldigend.
    »Intellektuelle Faulheit!«, verbesserte Lilly schnell. »Ich habe ihm mal einen ganzen Abend lang bewusst falsche Namen souffliert, als wir bei einem Empfang Menschen begegnet sind, denen er keine Namen zuordnen konnte. Er fand, dass ich zu viel Spaß daran hatte, und ist nach Hause gegangen.«
    »Werdet ihr nun endlich diesen Jungen in Ruhe lassen?«, fragte Katharina.
    Victor fand Lillys Mutter schön. Sie hatte feine Gesichtszüge, auf denen meistens ein leichtes Lächeln lag, und einen kerzengeraden Rücken, zumindest solange sie nicht vergaß, daran zu denken. Ihre blau geblümte Schürze war immer ordentlich umgebunden, aber auch immer weiß von Mehl oder Zucker, denn sie werkte pausenlos in der kleinen Küche, in der sie eindeutig die Chefin war.
    Moira weinte durch das Babyfon.
    »Ich gehe schon«, sagte Victor.
    »Nimmst du auch meine Brüste mit?«, stichelte Lilly. Sie stand auf und ging nach oben.
    Nach dem Abendessen verließ Markus den Tisch mit einem abschließenden Gebet, aber schon ein paar Minuten später kam er mit einem kleinen braunen Umschlag zurück in die Küche. »Ich muss morgen leider überraschend für drei Tage weg und werde euch also vor eurer Abreise nicht mehr sehen. Könntest du Lilly das hier geben? Aber sie darf es erst öffnen, wenn ihr wieder in Wien seid. Ich sehe sie nachher zwar noch, aber so muss ich nicht mehr daran denken.«
    Victor dankte Katharina für das Abendessen, nahm den Umschlag mit und ging nach oben.
    Moira schlief friedlich und Lilly war schon auf dem Weg nach unten. Victor gab ihr den Umschlag mit Markus’ Botschaft.
    »Gehst du schon schlafen?«, fragte sie.
    »Ich bin müde. Es war eine lange Fahrt und ein anstrengender Tag. Ich werde auf dem Zimmer noch etwas lesen. Ich habe schon allen gute Nacht gesagt«, sagte Victor.
    »Ich komme in einer halben Stunde. Ich spreche noch kurz mit meiner Mutter. Wenn du dann noch wach bist, öffnen wir den Umschlag.«
    »Dürfen wir erst, wenn wir wieder zu Hause sind.«
    »Seit

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